Die Hessische Europaministerin Lucia Puttrich hat nachdrücklich dafür geworben, die Wahlen zum Europäischen Parlament im Frühjahr 2019 für ein kraftvolles Bekenntnis zu Europa zu nutzen. „In praktisch allen EU-Mitgliedsstaaten wächst die EU-Skepsis. Aus Skepsis wird leicht Feindschaft und am Ende stehen Ereignisse wie der Brexit. Um diese Entwicklung aufzuhalten, müssen wir den Menschen überzeugende Antworten auf die Frage geben: Wozu brauchen wir ein starkes Europa? Reine Europa-Romantik hilft dabei nicht weiter“, sagte Staatsministerin Puttrich am Freitag beim Europaempfang der Hessischen Landesregierung in der Orangerie in Darmstadt.
In der Debatte um die Zukunft der Europäischen Union ruft Lucia Puttrich dazu auf, sich den Kritikern offensiv zu stellen: „Wir haben überhaupt keinen Grund, verzagt zu sein, denn die Europäische Union ist eine Erfolgsgeschichte, auf die wir stolz sein dürfen.“ Um auch in Zukunft erfolgreich zu sein, müsse die EU aber ihre Ziele verständlich und klar definieren. „Wir wollen nicht den europäischen Super-Staat auf allen Ebenen“, betont die Hessische Europaministerin. „Aber wir Europäer haben nur gemeinsam eine Stimme, die auch im Rest der Welt gehört wird.“
„Großbritannien wird auch in Zukunft ein sehr wichtiger Partner sein."
Aus Sicht von Lucia Puttrich muss Europa seine Kräfte deshalb bei jenen Aufgaben bündeln, die besser gemeinsam gelöst werden können als von den einzelnen Mitgliedsstaaten. Eines von mehreren Themenfeldern sei die Außen- und Sicherheitspolitik. „Hier sollten wir mutig sein und den großen Wurf wagen“, fordert die Ministerin. Zugleich gebe es Themen, die bei denen auf absehbare Zeit vielleicht nur ein Teil der EU-Mitgliedsstaaten vorangehen werde, etwa die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion. Puttrich hält außerdem klare Prioritäten für notwendig. „Persönlich finde ich, dass Themen wie die Zeitumstellung oder der Energieverbrauch von Staubsaugern nicht unbedingt ganz oben auf der europäischen Agenda stehen sollten“, sagt sie.
Im Brexit sieht Lucia Puttrich den bisher tiefsten und schmerzlichsten Einschnitt in der Geschichte der Europäischen Union. Die langwierigen Verhandlungen über ein mögliches Austrittsabkommen und die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien zeigten, wie eng die Mitgliedsstaaten längst miteinander verbunden seien und wie nahezu unmöglich es sei, all diese Verflechtungen aufzulösen. „Brexit bedeutet, dass man mühsam auseinanderdividiert, was in über 40 Jahren zusammengewachsen ist. Danach muss es wieder neu zusammengesetzt werden, weil wir ja auch künftig sehr enge Beziehungen haben wollen. Großbritannien wird auch in Zukunft ein sehr wichtiger Partner sein. Dieser Prozess ist leider nicht zu vermeiden, aber sinnvoll ist er nicht“, sagt Staatsministerin Puttrich.
Historische und psychologische Hintergründe des Brexits skizziert
Gastredner des Europaempfangs, zum dem rund 250 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, der konsularischen Vertretungen in Hessen sowie von Vereinen und Institutionen mit europäischem Hintergrund gekommen waren, war Dr. Peter Ammon. Der gebürtige Frankfurter war unter anderem deutscher Botschafter in Washington und Paris sowie Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Von April 2014 bis Januar 2018 war er deutscher Botschafter in London und hat in dieser Zeit die Entwicklung hin zum Brexit-Referendum und die danach beginnende Verhandlungsphase erlebt. Aus seiner langjährigen Erfahrung als Diplomat skizzierte Ammon historische und psychologische Hintergründe des Brexits und richtete zugleich den Blick auf die künftige EU der 27 Mitgliedsstaaten.
Das SaxoTonQuartett Darmstadt und das Dúo Austral bestritten mit alt-ungarischen Tänzen und virtuosem Gitarrenspiel den musikalischen Teil des Abends. Alle Künstlerinnen und Künstler sind Schüler der Akademie für Tonkunst in Darmstadt