Es gibt bestimmte Normen und Werte innerhalb der EU, die nicht verhandelbar sind. Dazu zählt die „Rechtsstaatlichkeit“, betonte Europastaatssekretär Mark Weinmeister in seiner Begrüßung. Allerdings sei dieser Grundkonsens aktuell von Einzelnen in Frage gestellt. Aus seiner Sicht würden diese Herausforderungen aber noch keine Krise hervorrufen, so Weinmeister weiter.
Maßnahmen zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit seien eine dauerhafte Aufgabe demokratischer Gemeinschaften. Die von der Kommission im Jahre 2019 geforderte Kultur der Rechtsstaatlichkeit sei daher noch kein Hinweis auf eine Krise dieses EU-Grundwerts. Es handele sich bei dieser Forderung vielmehr um eine Reaktion auf neue Herausforderungen, so Prof. Dr. Nicole Deitelhoff, Sprecherin des Leibniz-Forschungsverbunds „Krisen einer globalisierten Welt“.
Prof. Dr. Armin von Bogdandy, Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, machte in seinem Impuls deutlich, dass die Entwicklungen in Ungarn und Polen die EU grundsätzlich herausfordern. Es handele sich um einen „konstitutionellen Moment“, in dem die EU aufgefordert sei, ihr Selbstverständnis neu zu bestimmen: Entweder sie verteidige ihre bisherige freiheitlich-demokratische Identität und trete den Entwicklungen in Ungarn sowie Polen und anderswo entsprechend entgegen, oder sie gebe diese Identität auf.
In der anschließenden Diskussion hob die slowenische Europaabgeordnete Tanja Fajon hervor, dass ein Verfahren nach Art. 7 EU-Vertrag allein ungeeignet sei, die aktuelle Krise zu lösen. Das Problem reiche insofern sehr viel tiefer, da in der ungarischen und polnischen Bevölkerung kein Bewusstsein für eine Verletzung dieses Grundkonsenses vorliege. Ein Ziel der EU müsse es daher zunächst sein, die Bevölkerung mit dem Wertegerüst der EU vertraut zu machen und sie dafür zu gewinnen. Armin von Bogdandy betonte, dass es sich um eine Krise handele, die sich durch wissenschaftlichen Rat und rechtliche Instrumente alleine nicht lösen lasse. Es handele sich vielmehr um eine politische Krise, deren Lösung vor allem Geduld, die Definition und Einhaltung „roter Linien“, die nicht überschritten werden dürften, und den Zusammenhalt in der EU erforderten.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Rebecca C. Schmidt, Geschäftsführerin des Forschungsverbunds Normative Ordnungen.