Lucia Puttrich unterstrich in ihrer Einführung zum Thema „Antisemitismus und Rassismus im Netz – die Antwort der EU“, dass sehr schnell aus dem im Internet geschürten Hass auch reale Taten werden könnten.
Man stelle eine erhebliche Zunahme antisemitischer Hassreden in Krisenzeiten fest, sagte die Antisemitismusbeauftragte Katharina von Schnurbein. Das beziehe sich aber auf alle Arten von Extremismus, wie beispielsweise gegenüber Migranten, Asiaten, Flüchtlingen und eben auch auf Antisemitismus. Im Zusammenhang mit der Covid19 Pandemie würden die üblichen Verschwörungstheorien im Netz wiederbelebt. Das ginge vom Erzeugen des Virus in chinesischen Laboren über das Virus als eine „jüdische Kreation“, die zu illegalem Gelderwerb dienen solle bis hin zur Vermutung, dass es ein solches Virus gar nicht gebe, sondern es sich um eine israelische Erfindung handele.
Da mehr Menschen derzeit im Netz auf der Suche nach Antworten zu Covid19 „unterwegs“ seien, kämen sie auch auf Webseiten, auf denen diese Mythen genährt würden, unterstrich Katharina von Schnurbein.
Somit wirke die aktuelle Krise wie ein Brandbeschleuniger. Der Antisemitismus würde sich ähnlich schnell wie das Virus verbreiten, dem man möglichst schnell entgegenwirken müsse. Dessen Bekämpfung sieht von Schnurbein als Aufgabe aller, Europa, Mitgliedstaaten (MS) und Regionen.
Wenn auch die Aufmerksamkeit sich meist auf Attentate wie Pittsburgh oder Halle konzentriere, so sei doch aus ihrer Sicht mindestens genauso bedrohlich, dass mehr Menschen diesen Mythen Glauben schenken würden. Am Ende seien nicht nur Juden sondern die Gesellschaft als Ganzes betroffen, wenn die EU, die Demokratie und ihre Institutionen insgesamt in Frage gestellt würden. Schnurbein bezeichnete in diesem Zusammenhang den Kampf gegen Antisemitismus als Lackmus-Test für die Demokratie.
Die Zuschauer interessierte auch die Frage, ob sich Rassismus und Antisemitismus in allen Mitgliedstaaten (MS) gleich zeige oder ob es Unterschiede gebe. Schnurbein unterschied in ihrer Antwort zwischen den traditionell rassistisch-antisemitischen Milieus in einigen MS und dem Islamismus mit entsprechenden Tendenzen. Deshalb müsse man mit unterschiedlichen Strategien reagieren.
Auf die Frage des EU-Journalisten Hendrik Kafsack, ob es Ost-West-Unterschiede in diesem Bereich gebe, betonte Schnurbein, physisch würden sich aktuell jüdische Mitbürger in Westeuropa wesentlich stärker bedroht fühlen, was zu Fragen führe, wie: Kann ich mein Kind sicher in diese Schule gehen lassen? Wie ist die Situation in der Synagoge und auf dem Weg dorthin? In dieser Hinsicht gebe es oft eine Diskrepanz zwischen dem staatlichen Handeln und der Realität auf der Straße und im Netz.
Laut Schnurbein müssten alle staatlichen und europäischen Maßnahmen zum Ziel haben, jüdische Gemeinden vollständig in das Alltagsleben von Kultur und Gesellschaft zu integrieren. Positive Beispiele dafür zeigten sich bereits in der Verbesserung der Ausbildung von Polizisten, Lehrern und Justizangehörigen und deren Sensibilität für jegliche Form von Antisemitismus. Es sei aber Realität, dass aus Furcht vor solchen Vorfällen jüdische Eltern seit dem Jahr 2000 ihre Kinder wieder vermehrt auf jüdische Schulen schickten. Deswegen sei beispielsweise die Demonstration am 4. Mai 2020 in Frankreich wichtig gewesen, wo Tausende Nichtjuden auf die Straße gegangen seien, so Schnurbein.
Antisemitismus setze andererseits nicht einmal das Vorhandensein einer sichtbaren jüdischen Gemeinde voraus. Aus FRA würden seit Jahren bei 500.000 jüdischen Mitbürgern 4 – 5.000 Personen das Land verlassen, weil sie sich dort nicht mehr sicher fühlten. Hier müsse man sich fragen, wie es soweit habe kommen können. Rechtsextremismus, Islamismus und Antisemitismus seien große Bedrohungen für die Demokratie, die durch die Bildung entsprechender Netzwerke im Internet größer geworden sei.
Auch die Regulierung von extremistischen Botschaften im Netz wurde thematisiert. Hier verfüge Europa über die weitreichendsten Ansätze: Das Netz sei kein rechtsfreier Raum, daher habe man seit 2016 einen Verhaltenskodex mit den großen Plattformen abgeschlossen. Auch würden MS vermehrt versuchen, entsprechende Täter zu ermitteln und auch zur Verantwortung zu ziehen. Dennoch brauche man andere Regeln als bisher, so Schnurbein weiter.
Die Zusammenarbeit der Antisemitismusbeauftragten der MS und der deutschen Länder habe sich etabliert, erklärte Schnurbein. Man treffe sich halbjährlich unter ihrem Vorsitz und tausche sich über Sicherheitsfragen, Best Practice, etc. intensiv aus. In den Förderprogrammen der EU sei Hauptzielgruppe bei der Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus die Jugend. Es würden auch Fortbildungen für Polizisten zur Erkennung von Antisemitismus angeboten. 1,5 Mio. Juden lebten aktuell in der EU, aus Sicht der EU-Institutionen sei dieses Leben zu fördern. So werde man 2021 700 Jahre jüdisches Leben in DEU feiern.
Schließlich sprachen die Zuschauer auch die Diskriminierung von Farbigen in Europa an. Aus Sicht der Antisemitismusbeauftragten der EU stelle dies ein sehr großes Problem dar, weil hier konkret alle Lebensbereiche betroffen würden (u.a. Arbeits- und Wohnungssuche). Diese Diskriminierung sei genauso zu bekämpfen wie der Antisemitismus.
Das Video kann über diesen Link abgerufen werden: