Hessens Livestream: Auswirkungen Covid19 auf Belgien und die Europäische Union

Die Hessische Europaministerin Lucia Puttrich hat Oliver Paasch, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft und EU-Korrespondent Hendrik Kafsack, FAZ, am 12. Mai 2020 in die Hessische Landesvertretung eingeladen, um die Hintergründe zu analysieren, wie zum einen Belgien mit den Auswirkungen von Covid19 umgeht, und zum anderen wie die Erwartungen Belgiens an die Europäische Union sind.

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Die hohe Sterberate mit über 8000 Menschen im Vergleich zu anderen Staaten liege in der Erhebungsmethode, erklärte der Ministerpräsident Ostbelgiens. Belgien sei das einzige Land, in dem auch die Todesfälle gezählt würden, bei denen – ohne Test - ein Zusammenhang mit Corona vermutet wird. Um nicht eine ähnliche Situation wie in Italien zu erleben, habe man sehr frühzeitig mit einem drastischen „Lockdown“ in Belgien durchgegriffen, sagte Oliver Paasch. Bedingt durch das föderale System habe es Diskussionen gegeben, beispielsweise zu Schulschließungen. Doch habe man es geschafft, die unterschiedlichen zuständigen Sprachgemeinschaften unter einem Dach zu vereinen und den „Lockdown“ relativ kohärent für das ganze Land umzusetzen.

Schwieriger gestalte sich eine Umsetzung von „Exitmaßnahmen“, betonte Paasch. Man müsse einen Rahmen schaffen für das gesellschaftliche Leben. Hierbei müssten viele Aspekte berücksichtigt werden.

„Was dürfen die Belgier derzeit und was nicht - unter Berücksichtigung der derzeitigen Lockerungsphase?“ fragte EU-Korrespondent Hendrik Kafsack. Aus Sicht Paaschs leben derzeit die Belgier eingeschränkter als die Menschen in den deutschen Bundesländern. In einer ersten Phase habe es zwar Erleichterungen gegeben. Gleichwohl reichten vielen belgischen Bürgerinnen und Bürgern diese Lockerungen nicht aus. Die zweite Phase beginne am 18. Mai mit der Schaffung zusätzlicher Freiheiten, beispielsweise die Öffnung von Schulen für bestimmte Jahrgangsklassen und, sofern es die Gesundheitszahlen erlauben, weiterer Klassen sowie neue Angebote zur Kinderbetreuung und für den Vereinssport im Freien.

Ein weiteres großes Thema für die Teilnehmer war die Aufhebung der Grenzkontrollen zwischen Belgien und Deutschland. Aus Sicht des Ministerpräsidenten sei es an der Zeit, die Grenzen zu öffnen. Er erlebe derzeit, was es für Menschen hier vor Ort heißt, wenn Grenzen geschlossen sind. Paasch führte weiter aus, dass der Nationale Sicherheitsrat, dem er angehört, unter zwei Bedingungen zu einer Öffnung, beispielsweise für Familienbesuche oder grenzüberschreitendes Einkaufen, bereit wäre: Wenn zum einen die epidemiologische Situation im Nachbarstaat vergleichbar und zum anderen der Nachbarstaat einverstanden sei, Belgier einreisen zu lassen.

Wann Touristen wieder Belgien besuchen könnten, sei völlig offen und hänge von der Entwicklung der Infektionszahlen ab. Gerade für Ostbelgien, das vom Hotel-, Restaurant- und Gaststättensektor abhängig sei, sei es ein wichtiges Thema.

Auch die Quarantänepflicht wurde angesprochen. Grundsätzlich gebe es eine Quarantänepflicht mit einer Dauer von zwei Wochen, berichtete Paasch. Es gebe aber Ausnahmen, beispielsweise bei triftigen Gründen für Grenzgänger, Ehegatten- und Lebenspartnerbesuche, Hochzeiten und Begräbnisse. Besonderes Augenmerk legte Paasch auf Tests. Derzeit fänden 15- 20.000 Tests täglich statt und man wolle diese auf 45.000 erweitern.

Paasch plädierte dafür, schnellstmöglich, auch aus europäischen Gründen, zur europäischen Lebenswirklichkeit zurückkehren. Zu Beginn der Krise habe es an der Zusammenarbeit der EU gemangelt. Nun sei es an der Zeit, die gemeinsame Zusammenarbeit zu organisieren und die verschiedenen Schritte der Exitstrategie abzusprechen. Es liege in der Verantwortung der Staaten, proeuropäisch zu handeln, betonte Paasch.

Zur wirtschaftlichen Entwicklung der EU erklärte er, es sei absehbar, dass Italien und andere Mitgliedstaaten die Stabilitätskriterien nicht einhalten könnten. Man brauche eine größtmögliche Flexibilität und auch mittelfristig eine Finanzstabilität in den Staaten, die von dieser Krise am stärksten betroffen seien. Daher müsse man dafür sorgen, dass diese Staaten Kredite zu vertretbaren Bedingungen aufnehmen können. Auch Belgien sei auf eine gewisse Flexibilität angewiesen. Er sprach sich für eine Vergemeinschaftung von Schulden in Form von Eurobonds aus. „Auch zusätzliche Wirtschaftshilfe müsse über die nächsten Jahre möglich sein. Schon aus eigenem Interesse müssten wir dafür sorgen, dass Italien ein stabiler Wirtschaftspartner bleibe“, so Paasch.

Zum Abschluss kamen Paasch und Kafsack auf die belgische Politik zu sprechen. Wie geht es weiter? Eine Prognose hierzu sei schwierig, sagte Paasch. Momentan gebe es eine handlungsfähige Regierung. Ende Juni würde jedoch die Vertrauensfrage gestellt; wie das Ganze ausgehe, sei ungewiss.

Die Veranstaltung ist über folgende Links einzusehen:

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