Im Mittelpunkt stand die Frage, wie sich das Europäische Parlament in der COVID-19 Pandemie aufstellt, damit es zu keinem Bruch in der parlamentarischen Kontrolle komme und Entscheidungen getroffen werden könnten.
Die Hessische Europaministerin Lucia Puttrich begrüßte zur zweiten Veranstaltung im Rahmen der neuen Reihe „Hessen’s Livestream“ fast 500 Gäste virtuell. Sie betonte in ihrer Begrüßung die europäische Dimension dieser Krise. Alle Mitgliedstaaten hätten mit den gleichen Problemen zu kämpfen und geschlossene Grenzen und die massive Reduzierung des europäischen Lebens insgesamt würden alle Europäer gleichermaßen betreffen. Außerdem hob sie die Notwendigkeit effektiver parlamentarischer Kontrolle auf europäischer Ebene hervor und lobte die großen Anstrengungen des Europäischen Parlaments mit neuen Konzepten, unter anderem digitale Abstimmungen zu ermöglichen. Die Europaministerin wies aber auch auf die Gefahren durch Manipulationen solcher neuen Wege hin.
Generalsekretär Welle bekräftigte eingangs die große Herausforderung, die Europaabgeordneten, die Mitarbeiter und die Besucher maximal vor gesundheitlichen Risiken zu schützen. Zudem sei man an allen drei Standorten des Europäischen Parlaments (Brüssel, Straßburg, Luxemburg) an die jeweiligen nationalen Vorschriften gebunden. Schließlich sei auch zu bedenken, dass das Europäische Parlament Abgeordnete aus 27 Mitgliedstaaten habe und in 24 Sprachen arbeitsfähig sein müsste. Diese Herausforderungen seien im Vergleich zu nationalen Parlamenten ungleich größer. Nicht jede Software sei ohne weiteres nutzbar, weil sie nicht auf über 700 Teilnehmer ausgerichtet sei. Abgeordneten, denen eine entsprechende digitale Infrastruktur nicht zur Verfügung stünde, würden entsprechend unterstützt. Gleichzeitig sei ohne Einschränkung die parlamentarische Kontrolle sicherzustellen. Entwickelt wurde bislang eine Software, die Verdolmetschung in sechs Sprachen für 100 Teilnehmer zulasse, damit Ausschüsse, das Präsidium und die Fraktionen arbeiten könnten. Diese Technik werde weiter ausgebaut.
Auf die Frage, wie lange man sich vorstelle mit diesen Techniken statt im „Normalmodus“ zu arbeiten, antwortete der Generalsekretär, dass man aktuell von insgesamt achtzehn sehr schwierigen Monaten ausgehe. Debatten – eine Zuschauerfrage – seien bei großer Rededisziplin möglich, auch eine Worterteilung durch die jeweiligen Vorsitzenden. Geheime Abstimmungen – eine weitere Zuschauerfrage – seien die Ausnahmen und man werde dafür Lösungen finden, so Generalsekretär Welle. Namentliche Abstimmungen seien möglich, die Sicherheit werde durch E-Mail, Foto sowie Kontrolle über die Abstimmungslisten gewährleistet. Man arbeite derzeit an einem System, um auch komplexere Abstimmungen und Diskussionen durchzuführen, sagte Welle.
Plenarsitzungen seien mit hoher Präsenz möglich, sie würden mit dem gebotenen Abstand zwischen den Europaabgeordneten und in zwei Sälen durchgeführt. Aktuell seien zwischen 75 und 100 Abgeordnete in Brüssel, die Mitarbeiter würden sich in der Regel im Homeoffice an den Dienstorten des EU-Parlaments aufhalten. Daneben gäbe es aber bestimmte Berufsgruppen, beispielsweise Dolmetscher, IT- und Konferenztechniker, die den Betrieb vor Ort garantieren beziehungsweise unterstützen müssten.
Auf eine Zuschauerfrage zur Rückkehr in den „Normal“ Modus prognostizierte Klaus Welle, dass man künftig mehr als bisher auf Telearbeit, flexible Plattformen, etc. zurückgreifen werde. Insbesondere für Bürgerdialoge mit Teilnehmern in und aus allen Mitgliedstaaten, beispielsweise im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas, könne er sich solche Formate gut vorstellen. Auf eine weitere Frage zu den EU-Finanzinstrumenten in der Corona-Krise antwortete der Generalsekretär, dass man jetzt die Instrumente aktiv nutzen könnte, die während der Finanzkrise und danach ins Leben gerufen worden waren.
Abschließend wies Welle auf die entscheidende Rolle des Europäischen Parlaments in allen laufenden Debatten hin. Ein großes Thema sei die Diskussion über den Mehrjährigen Finanzrahmen 2021- 2027, der vom Rat und vom Europäischen Parlament verabschiedet würde.
Zur Situation der Europäischen Union zeigte Welle sich insgesamt optimistisch. Bis jetzt habe die EU alle in ungefähr zehnjährigen Abständen auftauchende große Krisen, wie die französische Ablehnung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in den 50er Jahren, Frankreichs Politik des leeren Stuhls in den 60er Jahren, die so genannten „Eurosklerose“ in den 70er Jahren, die Probleme um die Einführung des Euro in den 90er Jahren und die Finanzkrise in 2009, gut gemeistert. Das gelte auch für die Herausforderungen durch die COVID-19 Pandemie, sagte Welle abschließend.
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