„Das Wahlergebnis habe überrascht“, betonte Europaministerin Lucia Puttrich in ihrem Grußwort. Mit dem Ergebnis sei die erhoffte Klarheit ausgeblieben. Mit dem europäischen Aufbauprogramm „Next Generation EU“ seien große Hilfsprogramme geplant, verbunden mit der Hoffnung, dass diese Programme einen Innovationsschub auslösen. Dazu brauche man handlungsfähige Regierungen in ganz Europa.
Man könne nicht wirklich von Gewinnern nach diesem Wahlergebnis sprechen: Nach Auszählung von gut 96 Prozent der Stimmen, habe die sozialistische Partei „PSD“, Nachfolgepartei der Kommunisten, zwar die meisten Stimmen mit rund 30 Prozent erhalten, sie werde aber keine Regierungskoalition anführen können, erklärte Pirvoiu. Gleichzeitig seien sie aber auch die Verlierer. Denn im Vergleich zu ihrem Wahlergebnis von 2016 mit 45,5 Prozent hätten sie nun über 15 Prozent an Stimmen eingebüßt. Die liberal-konservative Partei „PNL“ habe gegenüber 2016 rund fünf Prozent an Stimmen dazugewonnen und könnte voraussichtlich eine Koalitionsbildung anführen. Nach den Meinungsumfragen hätten deren Erwartungen jedoch viel höher gelegen. Drittstärkste Kraft wurde die progressive Allianz 2020 der Parteien „USR+“, die es 2016 in dieser Formation noch nicht gab. Sie habe mit 14,7 Prozent ein beachtliches Ergebnis erzielt, sei jedoch in den Prognosen mit bis zu 25 Prozent ebenfalls höher eingeschätzt worden, so der EU-Korrespondent. Ein verblüffendes Ergebnis mit 8,6 Prozent erreichte die relativ unbekannte nationalistische Partei „AUR“, die Allianz für ein vereinigtes Rumänien, sagte Pirvoiu. Eine Erklärung für dieses starke Abschneiden sei, dass die Diaspora massiv für sie gestimmt habe. Außerdem seien sie sehr aktiv in den sozialen Medien gewesen. Auch die ungarische Minderheitspartei „UDMR“, habe mit 6,1 Prozent wieder den Einzug ins Parlament geschafft. Die beiden Parteien „PRO Rumänien“ unter Victor Ponta und die liberal-konservative Volksbewegung PMP unter Eugen Tomac seien an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Mit dem Ex-Präsidenten Victor Ponta und seiner Partei entfalle voraussichtlich damit auch ein möglicher Koalitionspartner für die „PNL“, dachte Pirvoiu laut.
Wie kam es nun zu diesem Ergebnis? Ingrid Steiner-Gashi fragte nach, warum bei 18 Millionen potentiellen Wählern nur sieben Millionen gewählt hätten? Pirvoiu führte dazu aus, dass die Wahlbeteiligung mit etwa 30 Prozent die niedrigste in der Geschichte Rumäniens sei. Sicherlich hätten auch die Angst vor Corona die Bürgerinnen und Bürger vom Wählen abgehalten. Gleichzeitig möge unter anderem eine allgemeine Politikmüdigkeit und Resignation eine Rolle gespielt haben. Die beiden großen rumänischen Parteien seien zwar in den Kommunen und Regionen gut verankert. Doch offenbar habe die „PSD“ umfassende Wahlkampagnen auf kommunaler Ebene organisiert, die dazu beigetragen haben, ihre Wähler zu mobilisieren. Eindeutig sei, dass das Corona-Krisenmanagement der „PNL“, der Minderheitsregierung mit Ludovic Orban, von der Bevölkerung nicht anerkannt und honoriert wurde, so Pirvoiu weiter. Aus seiner Sicht hätte es niemand besser machen können. Die Situation in den Krankenhäusern sei unverändert schlecht, wie schon in den Jahren der PSD-Regierung vor 2016. Auch seien viele Entscheidungen, wie das Schließen von Schulen und Kirchen, von den Gesundheitsexperten beeinflusst und nicht ausschließlich von der Politik getroffen worden. Als Minderheitsregierung habe Orban nur wenig gestalten können, da die „PSD“, die 20 Jahre an der Macht war und nach Protesten wegen Korruption 2016 zugunsten der liberal-konservativen Partei abgewählt wurde, vieles erfolgreich blockiert. Im Wahlkampf hätten die Bekämpfung der Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Folgen im Vordergrund gestanden.
Wie geht es weiter?
Ministerpräsident Ludovic Orban sei nach dieser „Wahlniederlage“ zurückgetreten, auch um den Druck abzuwenden, den seine Partei in den anstehenden Verhandlungen für eine Mehrheit haben werden. Die „USR+“ habe bereits angekündigt, nicht mit einem Ministerpräsidenten zu verhandeln, der die Wahl verloren habe. „PNL“ und „USR+“ erwägen eine Regierungskoalition, sagte der Journalist. Für eine absolute Mehrheit benötige man jedoch einen weiteren Partner. Hier stünde die Union der Ungarn in Rumänien „RMDSZ“ zur Verfügung. Es stünden harte Verhandlungen an, betonte er. Zur Frage der Auswirkungen auf Europa geht er davon aus, dass die neue Regierung einen pro-europäischen Kurs beibehalten werde. Die Frage werde sein, wie die drei - rechnerisch möglichen - Koalitionspartner sich auch inhaltlich und strategisch einigen werden, um ein gemeinsames Regierungsprogramm vorlegen zu können. Aber selbst mit Unterstützung aus den Reihen der 17, für die ethnischen Minderheiten reservierten Parlamentssitze, könnte die Koalition brüchig sein, schlussfolgerte Pirvoiu.