WERTE - "Demokratie und Rechtsstaatlichkeit"

Die Werte „Demokratie“ und „Rechtsstaatlichkeit“ sind für Professor Norbert Lammert keine Selbstverständlichkeit. Der ehemalige Bundestagspräsident hielt in der Hessischen Landesvertretung in Berlin ein Plädoyer für politische Bildung und eine anhaltende gesellschaftliche Wertedebatte.

Die Werte „Demokratie“ und „Rechtsstaatlichkeit“ sind für Professor Norbert Lammert keine Selbstverständlichkeit. Der ehemalige Bundestagspräsident hielt in der Hessischen Landesvertretung in Berlin ein Plädoyer für politische Bildung und eine anhaltende gesellschaftliche Wertedebatte. „Demokratie“ und „Rechtstaatlichkeit“ haben nicht nur eine historische Dimension, sondern verlieren bis heute nicht an Relevanz. Reinhard Müller, Redakteur der F.A.Z, moderierte durch den spannenden Abend in der Vortragsreihe „Werte“ der Landesvertretung.

Der Rechtsstaat sichert geregelte Freiheitsräume

Für Lammert ist die Verfassungsgeschichte Deutschlands eine beeindruckende historische Lehre. Er appellierte an einen gemeinsamen demokratischen Grundkonsens, der essentiell für den Zusammenhalt in der Gesellschaft und als Grundlage des Rechts ist. Eine Verfassung stehe im Kontext der Geschichte, Kultur und Erfahrung des jeweiligen Landes. Bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes durch die verfassunggebende Versammlung 1948 habe dies eine besondere Rolle gespielt. Die Schwierigkeit bestehe nicht nur in der Vereinbarkeit von Rechtsstaat und parlamentarischer Demokratie. Eine festgeschriebene Verfassung müsse an neue Herausforderungen angepasst werden, die durch gesellschaftlichen Wandel entstehen. Deshalb habe das Grundgesetz in den 70 Jahren seines Bestehens 60 Ergänzungen und Veränderungen erfahren.

Besonders in Anbetracht der deutschen Verfassungsgeschichte sollte das „besondere Spannungsverhältnis zwischen der gesetzgebenden und der rechtssprechenden Gewalt“ im Bewusstsein bleiben, sagte Lammert weiter. Verfassungen als weitreichender Fortschritt der Zivilisation dienen heute als Maßstab, der die Freiheitsräume unsere Gesellschaft festlege. „Das, was sicher zu wenig im öffentlichen Bewusstsein ist, ist die Einsicht, dass die Freiheitsräume einer Gesellschaft nicht durch Demokratie gesichert werden, sondern durch den Rechtsstaat“, so Lammert.

Das deutsche Grundgesetz genießt auch in anderen Ländern hohe Anerkennung

Mittlerweile habe unser Grundgesetz eine gute Reputation in vielen Ländern und beeindrucke durch die Ausgestaltung der Gewaltenteilung. Norbert Lammert sieht im Bundesverfassungsgericht die eindrucksvollste Innovation des Grundgesetzes, weil es maßgeblich zur Stabilität der deutschen Demokratie beitrage. Das Verhältnis zwischen den einzelnen Verfassungsorganen sei keineswegs unpolitisch. Auf der einen Seite teste die Exekutive ständig die Grenzen der Verfassung, auf der anderen Seite habe die Judikative einen eigenen Gestaltungswillen.

Politische Bildung muss gefördert werden

„Man muss zum einen wissen, wie unser Regelsystem ist, und zweitens muss man bereit sein, dieses Regelsystem […] auch zu respektieren“, ist Lammert überzeugt. Gewaltenteilung äußere sich darin, dass Parlamente Gesetze beschließen und ändern und Gerichte das festgeschriebene Recht umsetzten. Daraus resultiere die Abgrenzung, dass das Rechtsempfinden der Bevölkerung bei gerichtlichen Entscheidungen keine Rolle spielen dürfe und nur der Gesetzgeber in der Position sei, den gesellschaftlichen Input zu berücksichtigen. Das Verständnis für dieses Zusammenspiel zwischen Demokratie und Rechtsstaat müsse durch politische Bildung gefördert werden.

Komplexe Themen erfordern transparente Politik

Anders als nach der Vorstellung vieler Menschen sei die Demokratie kein Verfahren zur Verwirklichung des Volkswillens, sagt Lammert weiter. Denn den einen Volkswillen gebe es in einer pluralen Gesellschaft nicht. Ein gemeinschaftlicher Wille entstehe im politischen Prozess über den Austausch von Meinungen und durch Kompromiss. Der Populismus bediene sich der Fiktion des Volkswillens und sei eine zentrale Herausforderung für etablierte Demokratien. Als Gegenstrategie verwies Lammert auf einen möglichst transparenten Entscheidungsprozess in der Politik. Die zunehmende Komplexität von Themen erschwere nicht nur nachvollziehbare Lösungskonzepte, sondern auch deren Verständlichkeit.

Neben innerstaatlichen Spannungen ist Europa eine weitere Dimension, die Berücksichtigung finden muss, ergänzt Lammert. Das Verhältnis zwischen nationaler Souveränität und europäischen Gesetzen sei eine entscheidende Frage der Gegenwart. Im anschließenden Gespräch diskutierte Lammert mit Reinhard Müller die politischen Auswirkungen der Globalisierung. Diese zeige sich durch das Paradox, dass staatliche Souveränität verloren gehe und die Staaten gleichzeitig zunehmend in gegenseitige Abhängigkeit geraten.

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