Mit Europa im Gespräch

Alle EU-Mitgliedsstaaten werden zwischen dem 23. und 26. Mai das EU-Parlament neu wählen. Aber welche Wünsche haben die Bürgerinnen und Bürger aus anderen Ländern an die EU? Dazu gab es in der Hessischen Landesvertretung Berlin von vier Auslandskorrespondenten Informationen aus erster Hand.

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Wenige Tage vor der Europawahl am 26. Mai 2019 hat die Hessische Europaministerin Lucia Puttrich zu einer Podiumsdiskussion mit vier Auslandskorrespondenten eingeladen, um aus anderen EU-Mitgliedsstaaten ein Stimmungsbild einzuholen. In der Hessischen Landesvertretung Berlin berichteten Cécile Boutelet (Le Monde), Jacek Lepiarz (Deutsche Welle, Polnische Redaktion), Ewald König (Austria Presse Agentur) und Tonia Mastrobuoni (La Repubblica) über die aktuelle Stimmung zur EU-Wahl aus ihren Heimatländern Frankreich, Polen, Österreich und Italien. Die lebendige Diskussion moderierte Michaela Wiegel (F.A.Z., Paris).

Eingangs berichtete die Hessische Europaministerin Lucia Puttrich, dass sie in diesen Tagen mehr denn je zu Veranstaltungen in ganz Hessen eingeladen werde. So kurz vor den Europawahlen bemerke sie deutlich, dass „Europa die Menschen bewegt“. Der Kontinent habe sich verändert und deshalb fragten sich die Bürgerinnen und Bürger, „was ihnen die Europäischen Union der Zukunft bringen wird?“ und ob „die EU im Stande ist, die vielfältigen Herausforderungen zu bewältigen?“ Umso wichtiger sei es, nicht nur auf das eigene Land zu schauen, sondern den Blick auf die anderen Mitgliedstaaten zu richten. Deshalb habe sie das Thema Europawahl auch in der Hessischen Landesvertretung in Berlin aufgegriffen und Korrespondenten aus unterschiedlichen EU-Ländern eingeladen.

Podiumsdiskussion in der Hessischen Landesvertretung mit vier Auslandskorrespondenten

Michaela Wiegel ist seit 1998 Korrespondentin der F. A.Z. in Paris. In den vergangenen Wochen hat sie fast täglich über den Brand der Kathedrale Notre-Dame in der F.A.Z. berichtet. Sie startete die Diskussionsrunde mit einer Beschreibung des europäischen Kontinents, dessen einzigartiges Gebilde vor unseren Augen zu zerbröckeln drohe. Europa habe mehr Trennlinien als die zwischen Nord und Süd während der Eurozonenkrise. Inzwischen sei mit der Migrationsfrage eine weitere Trennlinie zwischen Ost und West hinzugekommen. Ein neues Phänomen sei, dass Italien, das zu den Mitgliedern der ersten Stunde zähle, sich als großer starker Partner aus der EU verabschiedet habe.

Tonia Mastrobuoni erwiderte, Hessen könne ein glückliches Land sein, denn Italien habe seit drei Monaten gar keinen Europaminister mehr. Kommissarisch werde die italienische Europapolitik vom Innenminister Matteo Salvini übernommen, der auf europäischer Ebene an einer sogenannten Koalition der Patrioten arbeite, die im gemeinsamen Grundsatz europafeindliche Parteien seien. Salvinis Botschaft laute, er sei der Mann der europäischen Rechten. Mastrobuonis Eindruck ist daher, dass es in Italien weniger eine thematische Diskussion über die Europawahl gibt, sondern vielmehr um Personen geht.

Wer immer wieder mit europäischen Ideen von sich reden mache, sei Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, so Cécile Boutelet von Le Monde. Aktuell sei die Enttäuschung in Frankreich aber fast so groß wie die Hoffnung, die er geweckt habe. Aus ihrer Sicht zeige die Entstehung der Gelbwesten-Bewegung auch, dass Macrons politisches Tempo zu hoch gewesen sein könnte. Zur deutschen Reaktion auf seine Forderung nach mehr EU-Reformen sagte Boutelet, dass sich Frankreich von Deutschland mehr „Offenheit“ erwartet hätte.

Jede Debatte über Polen und Europa müsse mit einer Zahl beginnen, sagte Jacek Lepiarz: 91 Prozent der Polen akzeptieren die Mitgliedschaft in der Europäischen Union und 78 Prozent sind der Meinung, dass die EU-Mitgliedschaft dem Land einen Vorteil verschaffe. In Polen wünsche man sich ein gerechtes Europa wie in den Zeiten von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, als sich die Staaten bzw. ihre Staats- und Regierungschefs auf Augenhöhe begegneten. Aber so ein Europa werde es nicht noch einmal geben, so Lepiarz. Auch Deutschland sei ständig auf dem Radar der polnischen Politik. So versuche man, Donald Tusk zu kompromittieren, indem man sage, er sei kein polnischer Vertreter, sondern handle in deutschen Interessen. Einen Unterschied zu südeuropäischen Ländern sah Lepiarz darin, dass Polen eine florierende Wirtschaft habe und deshalb auch gegen die Vergemeinschaftung von Schulden sei. Kein Verständnis gebe es beispielsweise für gemeinsame europäische Sozialstandards, wie sie Frankreichs Präsident fordere.

Europa war noch nie ein einem so guten Zustand wie heute, sagte Ewald König, der unter anderem für die Austria Presse Agentur arbeitet. Die Stimmung in Österreich sei prinzipiell proeuropäisch. Das habe sich auch bei der Volksabstimmung über den Beitritt des Landes zur Europäischen Union gezeigt, den 66,6 Prozent der Abstimmenden befürwortet haben. Aber die gegenwärtige Stimmung in Österreich sei schlechter als in Deutschland. Dies hätte unter anderem historische Gründe, so König. Er erinnerte an das Jahr 2000 und die EU-Sanktionen gegen Österreich, als es zur Koalition der Österreichisch Volkspartei (ÖVP) mit der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) von Jörg Haider kam. Österreich werde in der Debatte über europäische Fragen häufig in einem Atemzug mit den Visegrád-Staaten genannt, doch in Wirklichkeit wolle Österreich eine Brücke zwischen den Visegrád-Staaten und dem alten Kerneuropa bauen. Ferner korrigierte er die Ansicht, Österreich habe in der Flüchtlingskrise nur „durchgewunken“. Österreich habe vielmehr pro Kopf mehr Flüchtlinge aufgenommen, als Deutschland. Leider nehme das kaum jemand zur Kenntnis, so König.

Hintergrundinformationen:

Unter dem Motto „Mit Europa im Gespräch“ lädt die Hessische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, Lucia Puttrich, regelmäßig zum gemeinsamen Gedanken- und Ideenaustausch über die aktuellen Herausforderungen, Chancen und Risiken für die Europäische Union ein.

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