WERTE - Solidarität, Gerechtigkeit, Gemeinwohl

„Im Sozialstaat bildet sich im Guten wie im Schlechten der Zustand des Gemeinwesens ab,“ sagt der Staatsrechtswissenschaftler Hans-Jürgen Papier. In der Hessischen Landesvertretung Berlin hat der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts am 7. März 2018 über die Werte „Solidarität, Gerechtigkeit, Gemeinwohl“ referiert.

Das Grundgesetz als „Rahmen und Grenze politischer Gestaltung“

Die freiheitliche und sozialstaatliche Ordnung des Grundgesetzes beruhe darauf, dass der Einzelne seine Freiheit in Verantwortlichkeit ausüben könne, betonte Papier. Dabei zeigte er beispielhaft vier zentrale Spannungsfelder auf, in die er das Grundgesetz als „Rahmen und Grenze politischer Gestaltung“ Solidarität und Freiheit stellt.

Bürgerinnen und Bürger sollten von ihren Freiheiten Gebrauch machen und an der Zivilgesellschaft partizipieren

Das erste bestehe in der Spannung zwischen Freiheitsgrundrechten und Sozialstaatsprinzip. Jede staatliche Garantie von Solidarität sei eine Verkürzung der grundrechtlich garantierten Freiheiten. „Der Bürger wird nicht gleich zum schlechten Menschen, wenn er seine eigennützigen Interessen verfolgt“, so Hans-Jürgen Papier. Daher stehen soziale Grundrechte in einem permanenten Konflikt mit Freiheitsgrundrechten. Freiheit legitimiere aber nicht gemeinwohlschädliches Verhalten. Vielmehr konzipiere das Grundgesetz die Freiheit als Freiheit in der Gemeinschaftsbezogenheit. Besonders deutlich werde dies in der Eigentumsgarantie in Artikel 14 des Grundgesetzes, der einerseits das Eigentum schütze, andererseits aber auch verlange, dass es zum Wohl der Allgemeinheit eingesetzt werde.

Das Sozialstaatsprinzip verpflichte den Staat darauf, für alle Bürgerinnen und Bürger ein annehmbares Existenzminimum bereitzustellen, ohne diese in staatliche Abhängigkeit zu bringen, erläuterte Papier den zweiten Punkt. Dabei müsse eine Abhängigkeit vom Staat verhindert werden. Soziale Unterstützung müsse vielmehr darauf zielen, dass die Bürgerinnen und Bürger von ihren Freiheiten Gebrauch machen und an der Zivilgesellschaft teilnehmen. Andernfalls vereinnahme der Staat in scheinbarer Fürsorglichkeit Lebensbereiche, die im Sinne der Freiheit des Menschen von staatlicher Regulierung gelöst sein müssen. Aus dieser „Aufgabenverteilung“ zwischen Staat und Bürger erkläre sich auch das Fehlen sozialer Grundrechte – etwa auf Arbeit oder auf Wohnung – im Grundgesetz.

Solidarität – auch generationenübergreifend

Jede Gewährung zusätzlicher finanzieller Hilfen schränke zugleich die staatlichen Handlungsmöglichkeiten für zukünftige Generationen ein, gab der Jurist weiter zu bedenken. Durch die steigende Zinslast, die die Verschuldung des Staates bedeute, könne immer weniger Geld für staatliche Aufgaben verwendet werden. Solidarität sei deshalb auch generationenübergreifend. Der Staat müssen seine Ressourcen deshalb verantwortungsbewusst einsetzen, um den folgenden Generationen ebenfalls Solidarität zu ermöglichen. Gerade dieses Ausmaß, so mahnte Papier an, werde häufig vergessen.

Die internationale Dimension des Sozialstaatsprinzips

Das Sozialstaatsprinzip habe schließlich auch eine internationale Dimension, schloss Hans-Jürgen Papier. Während sich Wirtschaft und Politik global immer stärker verflechten, blieben die staatlichen Sozialsysteme auf sich gestellt. Die Gefahr läge darin, dass der Staat dazu „degradiert“ werde, die sozialen Folgen der Globalisierung abzufedern und die damit einhergehenden finanziellen Belastungen seiner Gestaltungskraft zu lähmen. Die Staatliche Souveränität aber mache es aus, selbst über den Umfang sozialen Schutzes zu entscheiden.

Der von ihm skizzierte Rahmen sei vom demokratisch legitimierten Gesetzgeberdurch behutsamen Ausgleich der einander gegenüberstehenden Interessen auszufüllen. Papier warnte zugleich vor einer auf wachsender Säkularisierung beruhenden Überreglementierung der Lebensbereiche. Das Übermaß an Normierung lähme die Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen und diskreditiere bestimmte Lebensentwürfe. Die Gefahr einer allzu umfassenden staatlichen Regelung von Solidarität läge darin, dass gesellschaftliches Engagement und Bereitschaft, füreinander einzustehen, verkümmerten. Vielmehr solle man sich darauf zurückbesinnen, dass „das Recht ein Diener der Eigenverantwortung ist“.

Letztendlich, so das Fazit, gelte auch im Bereich der Solidarität der Gedanke Ernst-Wolfgang Böckenfördes aus dem Jahr 1976: „dass der freiheitliche säkularisierte Verfassungsstaat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren kann“. Die Diskussion moderierte der Publizist Dr. Andreas Püttmann.

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