Europäische Politik stelle sich den Bürgerinnen und Bürgern nicht selten als Krisenpolitik dar, sagte der Hessische Europastaatssekretär Mark Weinmeister. Am Ende langer Sitzungsnächte, in denen über Entscheidungen gerungen werde, treten die Verantwortlichen vor die Presse und verkündeten eine lang erwartete Einigung. Es stellte sich deshalb die Frage, ob die Europäische Union nur noch Entscheidungen im Krisenmodus treffen könne. Auch Prof. Dr. Nicole Deitelhoff, Leibniz-Forschungsverbund „Krisen einer globalisierten Welt“, verwies in ihrer Einführung auf die Begriffe der „Dauerkrise“ oder auch „Polykrise“, die in Bezug auf Europa zeigten, dass nach der Krise immer auch vor der nächsten Krise sei. Es stelle sich die Frage, wie sich diese Belastung auf Dauer auf die europäischen Institutionen auswirke. Prof. Dr. Oliver Ibert, Direktor des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung, stellte dar, dass sich eine Krisendynamik nicht nur aus einem realen Problem ableite. Hinzutreten müsse auch eine Wahrnehmung der Akteure, dass es sich um eine Krise handele. Erst dann würden Entscheidungen denkbar, die womöglich mit bisherigen politischen Praktiken brechen und mit denen eine neue Richtung eingeschlagen werden könnte.
In der anschließenden Diskussion ergänzte Prof. Dr. Mark Rhinard, Stockholm University, dass gerade für Europa ein Modus des „Fällens kollektiver Entscheidungen“ unter den beschriebenen Bedingungen der Krise charakteristisch sei. Dr. Carsten Pillath, Generaldirektor, Rat der Europäischen Union, stellte allerdings fest, dass die Gipfelnächte von den Beteiligten selbst meist nicht als eine Entscheidungsfindung im Krisenmodus empfunden würden. Vielmehr komme jede Regierung zu Wort und so könne es aufgrund dessen bis zum frühen Morgen dauern, bis eine Übereinkunft gefunden werde. Dies sei allen Beteiligten klar, es bedeute aber nicht automatisch, dass eine Einigung grundsätzlich in Gefahr sei.
Ralph Sina, Leiter des WDR/NDR-Hörfunkstudios Brüssel, hat die Veranstaltung moderiert.