Günther H. Oettinger sprach vor den über 300 Gästen wie immer klare Worte und mahnte die Fähigkeit Europas, die Weltpolitik mitzugestalten, an. Europa sei für ihn der attraktivste Kontinent der Welt. Allerdings sei Europa derzeit von Regionen umgeben, die insgesamt instabil seien. Es sei deshalb an Europa, Stabilität zu verkörpern und zu exportieren. Wichtig sei zu diesem Zweck, eine geopolitische Ausrichtung der EU-Politik. Vor allem müsse Europa stärker und selbstbewusster werden und mit einer Stimme sprechen. „Die Welt wird derzeit neu vermessen. Wir müssen uns fragen: Wie sehen wir unsere Handschrift – wo leistet die EU ihren Beitrag?“, so Oettinger. Aus seiner Sicht gehöre dazu eine Modernisierung der Europäischen Union. Beispielsweise sei in der EU-Außenpolitik die Abschaffung der Einstimmigkeit erforderlich. Außerdem sollten die Fachministerräte z.B. wöchentlich tagen.
Nach der Einschätzung Oettingers sei es bereits „fünf vor zwölf“: Europa müsse schneller und besser werden. Vordringlich sei die Verabschiedung des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR), denn „wer den Haushalt verzögert, schadet Europa“, warnte Oettinger. Für ihn sei die beste Antwort auf Populismus und Neonationalismus, der Jugend Europa zu zeigen. Das sollte für junge Menschen finanzierbar gemacht werden. Vor allem würden die Verhandlungen zum MFR im Rat zu lange dauern.
Im Gespräch mit Anne Gellinek, Leiterin des ZDF Studios in Brüssel, äußerte sich Oettinger unter anderem zum Brexit, dem Syrienkonflikt, dem Abkommen der EU mit der Türkei, aber auch dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip und den Wahlergebnissen in Polen. In Bezug auf den Brexit teilte Oettinger die Meinung der Bundesregierung, dass der „worst case“ ein Austritt ohne Abkommen sei. Eine andere Auffassung als die Bundesregierung vertrete er hingegen beim Thema Finanzierung des nächsten Mehrjährigen Finanzrahmens. Hier setze er weiterhin auf eine Erhöhung der Beiträge der Nettozahler und zugleich die Abschaffung aller Rabatte. Zum Thema Syrien sagte er, dass Wirtschaftssanktionen zwar wirken, aber auch zu Eskalationen in die falsche Richtung führen könnten. Zum Abkommen mit der Türkei äußerte er sich dahingehend, dass die Menschenwürde in den Lagern vor Ort herzustellen, die bessere Lösung sei. In Bezug auf Polen bereite ihm nicht so sehr die Partei PiS Sorge, vielmehr sei es die „Rule of Law“. Er sprach sich zudem klar für die Verankerung des Rechtsstaatsprinzips im MFR aus.
Lucia Puttrich dankte Oettinger für seinen zehnjährigen starken persönlichen Einsatz in Brüssel - als überzeugter Europäer und deutscher EU-Kommissar. Oettinger sei immer ansprechbar und vor allem auch vor Ort gewesen. Klare Sprache, klare Worte und Bürgernähe würden ihn auszeichnen. Er habe in den zehn Jahren in allen drei wichtigen Portfolios, Energie, Digitales und Haushalt, die in seiner Zuständigkeit lagen, eigene wichtige Schwerpunkte gesetzt und diese immer mit bemerkenswerter Überzeugung vertreten. Oettinger habe stets zum Wohle der EU und seiner Bürgerinnen und Bürger gehandelt und seine Initiativen auf die Zukunft der EU ausgerichtet.