Europaministerin Lucia Puttrich, die gemeinsam mit dem Leibniz-Forschungsverbund „Krisen einer globalisierten Welt“ und dem Forschungsverbund „Normative Ordnungen – Goethe Universität Frankfurt“ zu dieser digitalen Veranstaltung in Brüssel eingeladen hatte, unterstrich in ihrer Begrüßungsansprache, dass die deutsche Wiedervereinigung ein wichtiger Motor für die europäische Integration war. Viele Erwartungen an die Wiedervereinigung hätten sich erfüllt, doch seien auch noch einige Herausforderungen zu bewältigen. „Wir haben aber auch unterschiedliche Geschichten und unterschiedliche Sichtweisen“, ergänzte die Ministerin. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf zukünftige Herausforderungen sei es wichtig, unterschiedliche Sichtweisen zu diskutieren, das gemeinsame Ziel, als wiedervereintes Deutschland und als Europäische Union erfolgreich zu sein, darf nicht aus den Augen verloren werden. Prof. Dr. Nicole Deitelhoff, Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung und Sprecherin des Leibniz-Forschungsverbunds „Krisen einer globalisierten Welt“, warf die Frage auf, inwieweit die Gegenwart ein Erfahrungswissen bereitstelle. Dieses Wissen könnte auch auf die Bewältigung der aktuellen Herausforderungen, wie die Pandemie, angewendet werden. Diese Krise fordere den gesellschaftlichen Zusammenhalt heraus, in ihrer Bewältigung liege aber auch das Potential, diesen zu stützen und zu fördern.
Roland Jahn, Leiter der Stasiunterlagenbehörde (BStU), hob in seinem Impuls hervor, dass die Frage der Menschenrechte die Brücke zwischen den Zeiten - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft -, aber auch zwischen den europäischen Ländern sein könne. Es gehe um die Frage, wie die Europäerinnen und Europäer in Freiheit und Selbstbestimmung zusammenleben wollen. Zunächst führte er aus, es sei wichtig, immer wieder zu diskutieren, welche Gesellschaft die Menschen in Europa wollen und welche Werte sie leben möchten. Gerade mit Blick auf junge Menschen sei es wichtig, gemeinsam zu erörtern, „was sie die Geschichte angehe“ und welchen Beitrag die Erfahrung aus der Vergangenheit für das eigene Leben stiften könne. Denn Geschichte und Erinnerung könnten ein Kompass für das eigene Leben sein.
In der anschließenden Diskussion mit dem Moderator Ralph Sina, Leiter WDR/NDR-Hörfunkstudio Brüssel, hob der Historiker Andreas Wirsching hervor, dass Geschichte immer mit Gegenwart und Zukunft verflochten sei. Ein Neuanfang ohne Geschichte sei nicht möglich. Die europäische Geschichte und die Erinnerung daran könnten Orientierung geben und vergangene Fehlentwicklungen aufdecken. Sie könnten aber auch lähmen und in die falsche Richtung führen, weil sie den Menschen die tief in der Vergangenheit liegenden Narrative vor Augen führten. Für die polnische Europaabgeordnete Prof. Dr. Danuta Hübner sei der Fall der Berliner Mauer ein Symbol für den künftigen Zusammenhalt in Europa. Und dies trotz oder gerade wegen aller Unterschiede.
Ralph Sina verwies mit Blick auf Ungarn und Polen auf die aktuelle europäische Herausforderung in der Bewältigung der Krise um die Rechtsstaatlichkeit. Hinsichtlich der aktuellen Auseinandersetzung betonte Prof. Hübner, wie wichtig es sei, die europäischen Mechanismen zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit nicht als gegen ein bestimmtes Land gerichtet zu sehen, sondern als Instrument für die demokratische Zukunft der EU. Rechtsstaatlichkeit sei die Grundlage für Vertrauen und Solidarität in Europa. Die Europäische Union sei eine Rechts- und Wertegemeinschaft, daher vertraue sie darauf, dass man eine Lösung finden werde. Prof. Wirsching entgegnete als Historiker, dass die Geschichte nicht als Blaupause für aktuelle politische Entscheidungen dienen könne. Die Funktion der Geschichte als Reflexionswissen bestünde darin, darauf hinzuweisen, dass Geschichte, Gegenwart und Zukunft nicht voneinander zu trennen, sondern miteinander verschränkt seien. Auch Roland Jahn fand es wichtig, Geschichte als Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zusammenzubringen.
Das Video zur Veranstaltung kann über diese Links abgerufen werden:
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