Didier Reynders, der Europaabgeordnete Moritz Körner, die Rechtsanwältin Josephine Ballon, Leiterin der Rechtsabteilung der gemeinnützigen HateAid gGmbH sowie Rainer Franosch, stellvertretender Leiter der Strafrechtsabteilung des Hessischen Ministeriums der Justiz waren von der Hessischen Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, Lucia Puttrich, und der Hessischen Ministerin der Justiz, Eva Kühne-Hörmann, zu der Diskussion eingeladen. Lucia Puttrich betonte in ihrem Grußwort die Wichtigkeit der geplanten Verordnung insbesondere im Bereich der Internetkriminalität. Voraussetzung für eine Bestrafung der Täter sei, dass die Täter überhaupt erst einmal identifiziert werden können. Hierzu müsse die Person ermittelt werden, die hinter einer IP-Adresse stehe, von der aus eine Straftat begangen worden sei. Justizministerin Eva Kühne-Hörmann hob in ihrem Grußwort darauf ab, dass Täter bestraft und Opfer geschützt werden müssen. Der Rechtsstaat müsse handlungsfähig bleiben. Gleichzeitig müssten die Grundrechte gewahrt und beispielsweise Whistleblower und Journalisten geschützt werden.
Zwischen der Effizienz der Strafverfolgung und dem Schutz der Grundrechte müsse es ein Gleichgewicht geben, erklärte der EU-Justizkommissar. Wichtig sei, Vertrauen in die Rechtssysteme anderer Mitgliedstaaten. Denn wenn statt Vertrauen Zweifel herrsche, dann würden Daten an einen anderen Mitgliedstaat möglicherweise nicht herausgegeben. Trotz einzelner Bedenken werde eine wirksame grenzüberschreitende Datenweitergabe benötigt, Reynders weiter. Man dürfe nicht wegen Bedenken im Einzelfall das vorgeschlagene Paket insgesamt ablehnen, das für viele Länder funktionieren könne. Der Mechanismus müsse Ausnahmeregelungen vorsehen, wenn es in dem Mitgliedstaat, an den die Daten herausgegeben werden sollen, Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit gebe. Insoweit sei etwa eine verstärkte gerichtliche Überprüfung denkbar.
Moritz Körner, der in Sachen e-evidence Schattenberichterstatter für seine Fraktion Renew im Europäischen Parlament ist, wies auf die Komplexität der parlamentarischen Befassung mit dem e-evidence Paket hin. Die grenzüberschreitende Beweiserhebung digitaler Daten solle ein proeuropäisches „tool“ werden. Das erfordere Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der Mitgliedstaaten. Problematisch seien Polen und Ungarn, so Körner. Wenn es ausreichende Verdachtsparamater für einen Missbrauch der grenzüberschreitenden Datenerhebung gebe, müsse sorgfältiger geprüft werden. In diesen Fällen müsse eine zusätzliche gerichtliche Überprüfung möglich sein. Ein Kompromiss könne in der unterschiedlichen Behandlung unterschiedlicher Datenkategorien liegen. Insgesamt werde der Vorschlag des Europäischen Parlaments mehr Ausnahmeregelungen und größeren Schutz vorsehen als Rat und Kommission dies planten, bekräftigte Körner.
Rainer Franosch wies daraufhin, dass die Praktiker einen schnellen Zugriff auf die Daten benötigen. Diese bildeten dann die Grundlage für weitere Ermittlungsmaßnahmen, wie etwa eine Hausdurchsuchung. Der Schutz der Grundrechte sei sehr wichtig, Franosch weiter. Die allgemeine Ausrichtung des Rates spiegele das hinreichend wider, weitere Schutzmaßnahmen seien nicht nötig. Abschließend sei noch nicht geklärt, inwieweit der Staat, in dem der Internetprovider seinen Sitz hat, von der Datenanforderung zu informieren sei. Die Bundesregierung wünsche sich sehr weitgehende Informationsrechte. Die Praktiker in vielen Bundesländern fürchteten jedoch, dass zu umfangreiche vorherige Benachrichtigungspflichten die Datenerhebung verzögern. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang auch, dass 93% aller Fälle ohnehin rein nationale Fälle seien, so Franosch.
Die große Mehrzahl der im Internet begangenen Straftaten könne nicht verfolgt werden, weil sich die hinter einem Internetkonto stehenden Straftäter nicht ermitteln ließen, sagte die Rechtsanwältin Josephine Ballon, Leiterin der Rechtsabteilung der gemeinnützigen HateAid gGmbH. Sie erklärte, dass man derzeit mit den Plattformen auf freiwilliger Basis zusammenarbeite, was nicht immer gut klappe. Das Herkunftslandprinzip erlaube es den Plattformen, auf den ausländischen Staat, in dem der Provider sitzt, zu verweisen. Gleichzeitig mache sie sich Sorgen, was mit politischen Aktivisten geschehe, die auf Missstände ihres Heimatstaates aufmerksam machten, und deren Regierung gegen diese zivilgesellschaftlichen Bewegungen vorgehen wolle. Sorgen bereite ihr vor allem der Schutz der LGBTQI community in Polen und Ungarn.
Hendrik Kafsack von der Frankfurter Allgemeine Zeitung hat die Diskussion moderiert.
Das Video zur Veranstaltung kann über diese Links abgerufen werden:
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4. Dezember 2020
Hessens Livestream: Expertengespräch zur E-Evidence-Verordnung - Internetkriminalität bekämpfen
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