Die Hessische Europaministerin Lucia Puttrich, die das Expertengespräch zur EU-Sozialpolitik zusammen mit dem Arbeitgeberverband HessenChemie veranstaltet, hob die Relevanz des Themas hervor. Sie betonte, dass Deutschland gerade im Bereich Sozialpolitik einiges aufzuweisen habe: Die soziale Marktwirtschaft und die Sozialpartnerschaft habe in den vergangenen Jahren gezeigt, dass ein Miteinander besser als ein Gegeneinander sei.
Der Europaabgeordnete Rasmus Andresen berichtete aus den laufenden Verhandlungen zum MFR und hob die Geschlossenheit des Parlamentes (EP) hervor, sich für eine Erhöhung des Budgetvorschlages für die Zukunftsfelder Forschung, Digitalisierung und Klimaschutz einzusetzen. Er erklärte, dass sich der von der Deutschen Ratspräsidentschaft angestrebte Kompromiss bis zum 18. September 2020 kaum erreichen lasse. Hinsichtlich der Verhandlungsgeschwindigkeit wies er darauf hin, dass das EP seine Positionierung stets als erste der EU-Institutionen gefasst habe.
Im Hinblick auf den Sozialbereich hob die Kommissionsvertreterin Barbara Kauffmann hervor, dass große Krisen auch Zeiten großer Solidarität seien. Positiv führte sie den gefundenen Mix aus Zuschüssen und Krediten an und unterstrich die Wichtigkeit der Bereiche Soziales, Weiterbildung und Kompetenzen. Aus Perspektive der Kommission gehen mit der grünen und digitalen Gestaltung der Zukunft der EU auch soziale Fragen, wie Energiearmut und Vorteile der Digitalisierung für Bürger, einher. Zugleich verwies sie darauf, dass neben den Finanzmitteln auch andere Mittel der Krisenüberwindung wirksam seien, beispielsweise die von der Kommission ermöglichte Flexibilisierung von europäischen Vorgaben im Bereich Beihilfe und Fondsnutzung. Als besonders wirksam zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit bezeichnete sie das Instrument der Kurzarbeit. So sei in der EU während der Pandemie die Arbeitslosigkeit um nur 0,6 % gestiegen, während sich diese in den USA vervierfacht habe.
Dirk Meyer, der per Live-Stream zugeschaltet war, brachte als Hauptgeschäftsführer von HessenChemie die Perspektive der Industrie ein. Hierbei sprach er sich für ein Belastungsmoratorium für EU-Regulierungen aus. Wichtig sei eine Balance der Nachhaltigkeit im Dreiklang: wirtschaftlich, sozial und ökologisch. Aus seiner Sicht dürfe man die Kapazitäten der Industrie beim Weg aus der Krise nicht durch bürokratische Last erschweren. Dabei führte er auch die Unterscheidung krisenbezogener und dauerhafter Maßnahmen in die Diskussion ein. So gebe es Instrumente und Lösungen die im Moment der Krise richtig seien, jedoch nicht für den Regelfall dienen würden.
Differenziert wurde auch diskutiert, ob mehr Geld auch ohne Strukturreformen den Krisenländern zu Gute kommen dürfe. Hier rief Dirk Meyer in Erinnerung, dass die Staaten mit nachhaltiger Haushaltsführung gerade jetzt in der Krise auch mehr finanzielle Gestaltungsräume aufweisen würden. Andresen führte aus, dass die Pandemie die Verflechtung der EU-Staaten miteinander deutlich aufzeige. Auch Deutschland sei daher abhängig von der sozialen Lage in anderen Mitgliedstaaten. In diesem Kontext plädierte Andresen für eine Unterscheidung zwischen Strukturreformen und Haushaltskürzungen und warb für eine europäische Investitionspolitik. Barbara Kauffmann sah in Kriseninstrumenten auch einen potentiellen Anreiz für Strukturreformen. So habe „SURE“, das EU-Rückversicherungsinstrument zur Finanzierung von Kurzarbeit, das speziell für die Zeit der Covid-Pandemie eingerichtet wurde, in einigen Mitgliedstaaten überhaupt die Möglichkeit der Kurzarbeit eröffnet. Allerding sei es nicht möglich, diese Systeme ständig zu unterstützen, vielmehr müsste eine gute Aus- und Weiterbildung dazu beitragen, dass Menschen eine Arbeit finden.
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