Sowohl EU-innen- als auch außenpolitisch seien die Herausforderungen für die EU und vor allem für die deutsche Ratspräsidentschaft gewaltig, betonte die Hessische Europaministerin Lucia Puttrich in ihrer Begrüßungsansprache. Das aktuell schwierige Verhältnis zu Russland, erfordere gemeinsame EU-Positionen. Daher sei sie froh, dass die EU das Wahlergebnis in Belarus nicht anerkannt hat. Sie sei von den vielen starken Frauen und auch den anderen Beteiligten beeindruckt, die standhaft für Demokratie kämpfen.
Bedenklich sei die Entwicklung der Verhandlungen der EU mit dem Vereinigten Königreich. Auch bei der gemeinsamen Asylpolitik stünde die EU noch immer vor großen Herausforderungen. Es sei über mehrere Jahre nicht gelungen, einen guten gemeinsamen Weg zu gehen. Alle seien sehr betroffen, welche Verhältnisse die Flüchtlinge, beispielsweise in dem griechischen Lager Moria, vor und nach der Brandkatastrophe ertragen mussten. Es ist die gemeinsame Aufgabe der EU, diesen Menschen zu helfen, sie menschenwürdig unterzubringen und ihnen in der Union – wenn sie einen Anspruch darauf haben – eine Heimat zu geben, sagte die Ministerin.
Michael Stabenow leitete die Diskussion mit den Journalistinnen mit der Frage ein, wie sich die Covid-Pandemie auf die Arbeitsweise und die allgemeinen Arbeitsbedingungen für Journalisten auswirkt. Die Podiumsteilnehmerinnen betonten, dass die Qualität schlechter und die Herausforderungen größer geworden seien. So hätten beispielsweise Journalisten keinen Zutritt in Rats- und Kommissions-Gebäude, was die Kommunikation und das persönliche Gespräch mit Entscheidungsträgern erschwere. Man recherchiere fast nur auf Internetplattformen. Sie kritisierten, dass die Pressesäle weitgehend geschlossen seien, zudem sei es zunehmend schwierig, Vertreter der EU-Institutionen auch nur telefonisch zu erreichen. Man erwarte von den EU-Institutionen, dass sie die Arbeitsbedingungen verbessern und Journalisten mehr unterstützen.
Zum Thema Beratungen der EU-Außenminister am 21. September 2020 zu Sanktionen erklärte Katalin Halmai, dass die Verweigerungshaltung von Zypern in der Frage von Sanktionen für Belarus eine negative Außenwirkung für die EU habe, da sie die EU entscheidungsunfähig erscheinen lasse und zum Verlust ihrer Glaubwürdigkeit führe. Es bleibe abzuwarten, ob die Blockadehaltung Zyperns negative Auswirkungen für Zypern auf dem nächsten Gipfel habe, beziehungsweise ob es eine Lösung für das Problemdreieck Zypern - Türkei - Griechenland gebe. Ilze Nagla betonte, dass die baltischen Staaten für Sanktionen seien. Die ungarische Position zu Sanktionen sei hingegen noch nicht bekannt, ergänzte Halmai. Aus ihrer Sicht werde damit ein weiteres Mal die alte Frage zur Einführung der qualifizierten Mehrheit in außenpolitischen Fragen der EU aufgeworfen. Auf die Frage von Michael Stabenow, wie die Aussichten auf eine Veränderung seien, stellte Halmai in den Raum, dass dieses ein Thema für die „Konferenz zur Zukunft der EU“ sein könne. Zur Frage des Einsatzes der EU-Mittel für Belarus sprach sich Nagla dafür aus, dass diese für die Zivilgesellschaft und nicht zur Unterstützung der Regierung Lukaschenko Verwendung finden dürften.
Auch der mehrjährige Finanzrahmen (2021-2027) (MFR) und der EU-Aufbaufonds seien noch nicht in „trockenen Tüchern“. Blockaden von einzelnen oder Gruppen von Mitgliedstaaten seien denkbar.
Die ungarische EU-Korrespondentin hob dabei die starken eigenen Interessen von Mitgliedstaaten hervor. Ungarn und Polen würden zwar nicht offen mit einem Veto drohen, sondern eher subtil mit Hinweis auf die Bedingungen und Anforderungen an den MFR vorgehen. Die baltischen EU-Mitgliedstaaten hätten keine Veto-Position, sagte Nagla. Für sie stünden eher baltische Themen im Vordergrund, beispielsweise die Ausstattung von EU-Programmen,das Erasmus Programm oder spezifische Themen wie die Rechtsstaatlichkeit.
Thema waren auch die anstehenden EU-Asyl- und Migrationsvorschläge der Europäischen Kommission: Laut Halmai sei bislang wenig über den umfassenden Vorschlag der Kommission bekannt. Ziele seien angeblich ein stringenteres Aufnahmeverfahren, Schutz der Außengrenzen der EU, Solidarität, gegebenenfalls mit einer verpflichtenden Aufnahme für alle Mitgliedstaaten. Man rechne mit hochkontroversen Debatten und keinen Entscheidungen unter deutscher Ratspräsidentschaft. Die Haltung Ungarns werde weiter extrem ablehnend sein und eine Entscheidung auf EU-Ebene werde behindert werden. Nagla führte aus, dass Lettland per Regierungsentscheidung 2015, bei durchaus nicht nur positiver Diskussion in der Bevölkerung, eine geringe Zahl von Flüchtlingen aufgenommen habe. Die Anzahl der Flüchtlinge sei gesunken, da viele nach Deutschland oder in andere EU-Mitgliedstaaten gegangen seien. Die Frage der „verpflichtenden Aufnahme“ bleibe weiter Thema. Die Erwartung in Lettland sei eher, dass sich nicht viel am Status Quo ändern werde. Die Haltung der lettischen Regierung sei eher pragmatisch und nicht aggressiv ausgerichtet.
Auch die Beziehungen EU-Türkei in Verbindung mit dem neuen Vorschlag der Kommission wurden angesprochen. Für Nagla sind die Flüchtlingslager in der Türkei, die von der EU finanziert würden, eine türkische Trumpfkarte mit Erpressungspotential. Die Entwicklung der EU-Flüchtlingspolitik berühre zudem die Fragen der EU-Freizügigkeit, der östlichen Nachbarschaftspolitik und sei für die Mitgliedstaaten insgesamt zu einem innenpolitisch immer schwierigeren Thema geworden.
Nicht zuletzt ging es auch darum, ob es einen harten Brexit geben wird. Inzwischen handele es sich um ein emotional aufgeladenes Thema, daher seien nur geringe rationale Prognosen möglich, was bis zur Frist im Oktober tatsächlich geschehen wird, sagte Halmai. Alle bisherigen Erfahrungen sprächen für einen Deal, härter oder weicher. Auch Nagla erwarte einen Deal in letzter Minute, allerdings hätten sich die Reaktionen auf beiden Seiten verschlechtert.
Schließlich fragte Stabenow noch nach der EVP-Mitgliedschaft von Fidesz. EVP-Chef Donald Tusk sei ein unverblümter Kritiker von Fidesz und Premierminister Orban, sagte Halmai. Ursprünglich sollte die Frage der Mitgliedschaft von Fidesz in der EVP im September dieses Jahres gelöst werden. Doch aufgrund der Covid-Pandemie habe keine physische Sitzung, die jedoch für die Abstimmung nötig ist, stattfinden können. Sie betonte in diesem Zusammenhang, dass es gut sei, dass Fidesz nicht auf der Tagesordnung stehe, denn die EVP seien über Fidesz gespalten und hätten sich bislang nicht einigen können.
Das Video zur Veranstaltung kann über diesen Linkabgerufen werden: