Europa nach den Wahlen: „Lettland hat gewählt“

Ilze Nagla vom Öffentlichen Lettischen Fernsehen hat am 4. Oktober 2022 die Wahlergebnisse in der Hessischen Landesvertretung analysiert. Wahlsieger ist die liberal-konservative Partei „Neue Einheit“ (JV)“ mit 19 Prozent. Nagla geht davon aus, dass der Kurs der erfolgreichen Regierung von Ministerpräsident Arturs Krišjānis Kariņš fortgesetzt wird.

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Lettland hat turnusgemäß am 1. Oktober 2022 ein neues Parlament, „Saeima“, gewählt. Nach Auszählung aller Wählerstimmen haben sieben Kandidatenlisten die zum Einzug ins Parlament erforderliche Fünf-Prozent-Hürde überschritten. Die Wahlbeteiligung mit 59 Prozent war höher als bei den vorangegangenen Wahlen, sagte Nagla.

Die pro-EU und pro-NATO Politik von Ministerpräsident Arturs Krišjānis Kariņš verstünden die Menschen in Lettland aufgrund des Angriffs von Russland auf die Ukraine als Garant für ihre nationale Sicherheit. Nagla geht davon aus, dass dieser Hauptkurs beibehalten wird. Fraglich seien die Koalitionspartner, meinte Nagla. Zwei der Regierungsparteien seien nicht mehr im Parlament vertreten, Lettland sei jedoch bekannt für schwierige Regierungsbildungen. Das Parteiensystem sei fragmentiert mit dominierenden liberalen, konservativen und rechten Kräften.

Ilze Nagla im Gespräch mit Moritz Koch
Ilze Nagla im Gespräch mit Moritz Koch

Zweitstärkste Kraft wurde das oppositionelle „Bündnis der Bauern und Grünen (ZZS)“ mit 12,7 Prozent (gegenüber 9,91 Prozent im Jahr 2018). Aufgrund interner Konflikte haben die Grünen jedoch die Partei nach 20 Jahren Zusammenarbeit im Juni 2022 verlassen und haben sich für diese Wahl dem neuen Wahlbündnis „Vereinigte Liste (AS)“ angeschlossen, das mit 11,01 Prozent gut abgeschnitten hat. Von Ministerpräsident Kariņš bisherigen drei Koalitionspartnern schaffte nur die rechtskonservative „Nationale Allianz (NA)“ mit 9,29 Prozent (gegenüber 11,01 Prozent im Jahr 2018) den Sprung ins Parlament. Sie spricht sich unter anderem gegen die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften aus und vertritt eine Bildungs- und Sprachenpolitik zur Unterstützung des Lettischen. Die liberale proeuropäische Partei „Entwicklung/dafür!“, die 2018 noch bei über 12 Prozent lag, hat um 0,03 Prozentpunkte den Einzug ins Parlament verfehlt. Der große Verlierer dieser Wahl ist jedoch die sozialdemokratische, pro-russische Partei „Harmonie (SDPS)“ mit 4,8 Prozent (2018 noch bei 19,8 Prozent), die damit den Einzug ins Parlament verpasst hat. Ihre Kernwähler kommen aus der russischstämmigen Minderheit. Demgegenüber hat die pro-russische Partei „Für Stabilität! (S)“, die erst im Januar 2021 neu gegründet wurde, mit 6,8 Prozent den Sprung ins Parlament geschafft. Ihr Programm zielt auf einen Umbau des Staates und die Stärkung der lettischen Unabhängigkeit bis hin zum Austritt aus der EU hin. Die sogenannte „Kreml-Partei“ war zudem im Wahlkampf überaus aktiv in den sozialen Netzwerken. Ebenfalls im Parlament vertreten sind die neu gegründete christlich orientierte Partei „Lettland Zuerst (LPV)“, die insbesondere von jungen Menschen gewählt wurde, die sich eher für grüne Themen interessieren sowie die sozialdemokratische „Progressiven (PRO)“. Bestimmende politische Themen im Wahlkampf waren aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und seine Folgen Fragen zur nationalen Sicherheit Lettlands, steigende Energiekosten sowie die stetig ansteigende Inflation (circa 30 Prozent).

Moritz Koch, Leiter des Handelsblatt Büro in Brüssel
Moritz Koch, Leiter des Handelsblatt Büro in Brüssel

Gespräch mit dem EU-Korrespondenten Moritz Koch vom Handelsblatt

Im Gespräch mit dem EU-Korrespondenten Moritz Koch bekräftigte Nagla die uneingeschränkte Solidarität Lettlands mit der Ukraine. Lettland vertrete einen entschiedenen außen- und sicherheitspolitischen Kurs gegen Russland. Viele Menschen haben Angst, dass auch ihr Land angegriffen werden könnte und sich deshalb für Sicherheit und Stabilität ausgesprochen und entsprechend gewählt, betonte Nagla. Wirtschaftliches Ziel Lettlands sei es, eine von Russland unabhängige Energieversorgung zu erreichen. Bislang habe die Europäische Union bei Sanktionen gegen Russland zusammengestanden. Sie befürchtet aber, dass es im Winter zu Protesten in der Europäischen Union kommen und verschiedene Mitgliedstaaten zuerst an ihr eigenes Land denken werden. Lettlands Vertrauen in die NATO sei größer als in Deutschland oder Frankreich, wobei Deutschland mehr als die französische Regierung im Fokus der Kritik stehe. Die zögerliche Haltung der deutschen Bundesregierung, die Ukraine zu unterstützen, werde in Lettland kritisch gesehen, sagte Nagla weiter. Mit Blick auf die Haltung der Bundesregierung wünscht sich Nagla schnellere und umfangreichere Hilfen, wie sie beispielsweise von der USA und Großbritannien bereits geleistet werden.

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