Europaministerin Lucia Puttrich, die zu der Veranstaltung eingeladen hatte, betonte, dass wir uns gemeinsam der Coronakrise, aber auch vielen politischen Herausforderungen in der Europäischen Union (EU) stellen müssen. Nachdem im vergangenen Jahr in Deutschland die Regierung gewechselt habe und in diesem Jahr unter anderem Wahlen in Frankreich und Ungarn stattfinden, seien Veränderungen in der Europäischen Union zu erwarten. Darüber hinaus sei Halbzeit für das Europäische Parlament und die Europäische Kommission – ein Zeitpunkt Bilanz zu ziehen. Mit Blick auf die Zukunftskonferenz erklärte die Ministerin, diese gestalte sich im Ablauf wesentlich schwieriger als gedacht, was mit organisatorischen und strukturellen Problemen, auch aufgrund der Coronakrise, zu tun habe.
11. Januar 2022
Hessen Livestream - XVII. Europäischer Presseclub – Europa im Umbruch?
Herausforderungen der französischen EU-Präsidentschaft im 1. Halbjahr 2022
Die französischen Präsidentschaftswahlen am 10. April fallen in die Zeit der französischen EU-Ratspräsidentschaft. Einerseits biete sich damit dem wieder zur Wahl antretenden Präsidenten Emmanuel Macron eine politische Bühne, andererseits könne sich diese Aufgabe aber auch als Bürde für ihn herausstellen, führte Moderator Stabenow in das Thema ein. Isabelle Ory bestätigte, dass der Zeitpunkt dieser EU-Präsidentschaft sich ungünstig für Macron auswirken könne. Seine pro-europäische Haltung werde im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen, er brauche Erfolge und positive Entwicklungen auf EU-Ebene. Sie führte weiter aus, Frankreich hätte den Zeitplan ändern und die EU-Präsidentschaft mit einem anderen Mitgliedstaat tauschen können. Das deute darauf hin, dass das Amt eher als eine positive politische Bühne für Macron verstanden würde. Thomas Gutschker beschrieb Frankreichs Vorbereitung auf die EU-Präsidentschaft und ihr Programm als sehr professionell. Allerdings sei der Fokus von Initiativen und Zeitplänen konzentriert auf die ersten drei Monate, also die Phase des Wahlkampfes in Frankreich. Es bleibe abzuwarten, ob diese Strategie aufgeht, da erfahrungsgemäß eine Präsidentschaft viel Energie und Zeit aufwenden müsse für die Abstimmung ihrer Vorhaben und eher am Ende der Ratspräsidentschaft Kompromisse gefunden würden.
Führungsduo oder Führungsteam – Machtverschiebungen im Rat?
Die langjährige Kanzlerschaft Angela Merkels, der europäischen „Mutti“, war auf EU-Ebene gekennzeichnet durch geduldiges Verhandeln und Kompromissbereitschaft. Für die Zukunft sah Ory eher ein Führungsteam, in dem neben Frankreich und Deutschland, dem sogenannten „Führungsduo“, beispielsweise auch die Niederlande eine Rolle spielen könnten. Das neue Kabinett von Ministerpräsident Rutte werde sich aufgrund der neuen Regierungskoalition in Fragen der EU-Haushalts- und Finanzpolitik vielleicht flexibler zeigen als in der Vergangenheit. Die neue deutsche Bundesregierung sah Thomas Gutschker auf EU-Ebene eher schwächer aufgestellt. Es zeige sich bereits jetzt, dass sie in wichtigen EU-politischen Fragen, beispielsweise Nord Stream 2, Winterspiele in Peking, Taxononomie-Diskussion sowie die Einstufung von Erdgas als Energie des Übergangs, nicht einig sei und damit die deutsche Verhandlungsposition im Rat geschwächt werden könnte.
Bewegung in der EU-Asyl- und Migrationspolitik
Ein politischer Erfolg für die Ratspräsidentschaft wäre zum Beispiel „Bewegung in der EU-Asyl- und Migrationspolitik“. Strategisch sinnvoll wäre aus Sicht der Diskutanten eine schrittweise Verhandlung des von der EU-Kommission vorgelegten Gesamtpakets Asyl und Migration. Getrennte Beratungen der neuen EU-Asylverordnung, der Vereinbarungen zum Datenaustausch und der EU-Verordnung zur Prüfung und Schnelligkeit der Verfahren der Asylbewilligung könnten Entscheidungen beschleunigen. Eine Einigung in dieser schwierigen Frage wäre ein politischer Triumpf für die EU-Präsidentschaft, da Migrationspolitik ein bedeutendes Wahlkampfthema in Frankreich sei, so Gutschker.
Spannungen und Konflikte innerhalb und außerhalb der EU
Der grundlegende Konflikt um die Auslegung und Einhaltung der EU-Grundwerte durch Polen und Ungarn bestehe weiterhin. Beide Mitgliedstaaten könnten wichtige Initiativen der französischen Präsidentschaft blockieren, betonte Gutschker. In Verbindung mit der aktuellen Debatte um die Taxonomie-Verordnung und der Frage der Bewertung der Atomkraft als nachhaltig förderbar, sah Thomas Gutschker auch Möglichkeiten für neue Interessensallianzen im Rat. Die Rolle der EU im Verhältnis zu Russland, den Spannungen in der Ukraine, in Kasachstan und zur Haltung der NATO beurteilte Gutschker zurückhaltend.
Schließlich wurde auch die Bedeutung der EU-Zukunftskonferenz angesprochen.
Beide Journalisten waren sich einig, es fehle die Aufbruchsstimmung und die Energie, die im Verfassungskonvent 2004 zu spüren gewesen sei. Der Streit zwischen Kommission, Parlament und Rat um die Strukturen und die Verfahrensabläufe sei nicht hilfreich gewesen und auch die Corona-Krise habe zur Verzögerung beigetragen. Positiv beurteilten sie die neuen Beteiligungsformen in den Bürgerforen.
Die komplette Veranstaltung im Video finden Sie hier:
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