Europastaatssekretär Uwe Becker unterstrich dabei zunächst, dass es Ziel der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) sei, durch geeignete wirtschafts- und währungspolitische Maßnahmen nachhaltiges Wirtschaftswachstum sowie ein hohes Beschäftigungsniveau zu fördern. Aufgrund der hohen Unsicherheit und der erheblichen ökonomischen Abwärtsrisiken ausgehend von den Folgen des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine sei es erforderlich gewesen, dass die Europäische Kommission die im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehene sogenannte Allgemeine Ausweichklausel noch bis 2023 aktiviert lassen wolle, führte Becker weiter aus. Er hob hervor, dass es bei der anstehenden Reformdebatte letztlich nicht darum gehen dürfe, an dem Grundgerüst des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu rütteln. Dr. Stefan Kroll, Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung/Goethe Universität Frankfurt am Main, erklärte, dass sich Krisenforscher für die Spannung zwischen dem Begriff der Ausnahmenregelung und der Reformen interessierten. Es gehe um die Frage, wie aus Ausnahmen Reformen entwickelt werden können, welche Kriterien es dafür gäbe und wie das Ganze evaluiert werden sollte. Der Vizepräsident am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle Prof. Dr. Koetter betonte zunächst, dass es gegenwärtig um eine Gemengelage von sich überlagernden Krisen gehe und keine generelle Krise der WWU. Es gäbe geopolitische Instabilitäten, auch seien die globalen Auswirkungen des Angriffskriegs auf die Ukraine noch nicht final abzuschätzen. Europas Ökonomie unter Nachhaltigkeitskriterien zu transformieren sei eine Jahrhundertaufgabe. Dafür brauche man Institutionen, die nach den Regeln funktionieren, denen die Bürgerinnen und Bürger und Marktteilnehmer vertrauen können.
29. Juni 2022
Livestream: Crisis Talks - „Wirtschafts- und Währungsunion in Krisenzeiten“
Diskussion zur Überarbeitung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts
In der anschließenden Podiumsdiskussion erklärte Michael Hager, Kabinettschef von Exekutiv-Vizepräsident der Europäischen Kommission Valdis Dombrovskis, dass die Funktionstüchtigkeit des Stabilitätspakts überprüft werde. Die Europäische Kommission habe vor der Covid-19-Krise aufgezeigt, wo Defizite und strukturelle Schwächen seien. Sie werde im Herbst ein neues Papier vorlegen und Divergenz der Meinungen zusammenführen. Er führte weiter aus, darin sollten insbesondere die neuen Elemente beachtet werden, die die Covid-19-Pandemie hervorgebracht habe. Koetter plädierte dafür, die Märkte und Marktmechanismen innerhalb klarer Regeln zu stärken und betonte dabei die Rolle des Souveräns. Der Europaabgeordnete Siegfried Mureşan warb für ein Regelwerk, das in guten und auch in Krisenzeiten funktioniere. In jedem Falle aber müsse Haushaltsdisziplin weitergelten. Er warnte davor, kurzfristige Entscheidungen zu treffen, da die Konsequenzen des Ukraine-Kriegs auf das zukünftige Wirtschaftsmodell Europas noch nicht abzuschätzen seien. Aus Sicht des Europaabgeordneten Dr. Joachim Schuster sind keine Vertragsänderungen notwendig. Möglich seien in seinen Augen Notmaßnahmen, die ähnlich konzipiert werden könnten wie beispielsweise der Corona-Fonds, der auch ohne Vertragsänderungen beschlossen wurde.
Silke Wettach von der Wirtschaftswoche hat die Veranstaltung moderiert.
Die komplette Veranstaltung im Video finden Sie hier:
DeutschÖffnet sich in einem neuen Fenster - Crisis Talks: Wirtschafts- und Währungsunion in Krisenzeiten
EnglischÖffnet sich in einem neuen Fenster - Crisis Talks: Economic and monetary union in times of crisis