Europa im Gespräch: Was unsere Gesellschaft zusammenhält – Erfahrungen in pandemischen Zeiten

Prof. Dr. Martin Hein, Bischof em., Vorstand der Landesstiftung Miteinander-in-Hessen sprach am 6. Dezember 2021 mit Hendrik Kafsack von der Frankfurter Allgemeine Zeitung, Redaktion Brüssel, über Lösungsansätze zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in pandemischen Zeiten.

Europaministerin Lucia Puttrich wies in ihrer Begrüßungsansprache auf das stärker geforderte Engagement der Bürgerinnen und Bürger hin, aber auch auf die sich immer mehr zeigende Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften. In der Wirtschaft gäbe es ganze Branchen, wie zum Beispiel die Gastronomie, den Kulturbereich und die Messen, die mit enormen pandemiebedingten Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Gleichzeitig unterstrich die Ministerin, dass dagegen ein Grundbedürfnis von Menschen nach Austausch, nach Gesprächen und Begegnung steht: Unsere Gesellschaft werde jedoch diese Herausforderungen bestehen und Spaltungen und Krisen überwinden.

Was bringt die Gesellschaft wieder zusammen?

In seinen einführenden Bemerkungen verwies Prof. Dr. Martin Hein auf die diffuse Angst vor der Pandemie hin. Durch Abschottung und geschlossene Kommunikationsräume seien Hass und Antisemitismus aufgeflammt. Für ihn überraschend sei, dass die bisher unbestrittene Rolle der Wissenschaft in Frage gestellt werde. Wissenschaftlicher Streit und die daraus abgeleiteten Erkenntnisse würden zu einer zunehmenden Skepsis gegenüber der Wissenschaft insgesamt führen. Kernfrage sei, wie man mit einem schwindenden Grundkonsens in unserer Gesellschaft umgehen soll, die zunehmend gereizter wirke. Aus seiner Sicht müsse vor allem verbal „abgerüstet“ und die Argumentation sachlicher werden.

Lösungsansätze

Ein ehrlicher Umgang der Politik und der Wissenschaft mit der Öffentlichkeit sei wichtig, um auch deutlich zu machen, dass man schlicht nicht über abschließendes umfassendes Wissen über das Virus Covid 19 verfüge. Was bringe die Gesellschaft in Pandemiezeiten wieder zusammen? Antworten seien schwierig, die Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger sei eingeschränkt oder ausschließlich digital. Nach wie vor sei die persönliche Begegnung von Mensch zu Mensch wichtiger als der Austausch über das Internet. Aus Sicht von Prof. Dr. Hein erfordere diese Realität neue Begegnungsräume, die für verschiedene Milieus zugänglich sein müssten, auch für junge Menschen. Dabei verwies er auf die Aktivitäten der Landesstiftung „Miteinander-in-Hessen“, die aktuell insbesondere junge Menschen zu Moderatoren ausbilde, um Kommunikation und Gespräch zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu verbessern. Prof. Dr. Hein unterstrich die nach wie vor große Kraft positiver Beispiele für die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die viele überzeugen könnte. Hingegen müsse das Internet mit seinem übergroßen Resonanzboden für Verschwörungsmythen künftig stärker kontrolliert werden, vor allem im Hinblick auf die vermehrt auftretenden Hassbotschaften gegenüber anderen Personen oder Personengruppen.

Pandemiebedingte Spaltung weltweit

In der anschließenden Diskussion mit Moderator Hendrik Kafsack von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war unter anderem die Spaltung der Welt durch die Pandemie Thema. Aus Sicht von Prof. Dr. Hein müsste die Weltgesundheitsorganisation wesentlich handlungsstärker sein, um auf solche weltweiten Herausforderungen angemessen reagieren zu können. Im Fokus stand auch die Rolle von Wissenschaft und Vernunft in der Krise: Eine weit verbreitete generelle Skepsis gegenüber Debatten und Positionen der Wissenschaft habe zugenommen. Aufbrechen verkrusteter Fronten und mehr Dialogbereitschaft müssten das Ziel sein. Besonders laut geäußerte drastische Forderungen würden aber in den Medien einen größeren Widerhall erzeugen als die leisen, vernunftgeleiteten Überlegungen. Verbale Abrüstung, Gelassenheit und nicht allzu reißerische Überschriften wären ein guter Beitrag, bekräftigte Prof. Dr. Hein. Man müsse zu dem früheren Leitbild der offenen Gesellschaft zurückkehren, eine schwierige Aufgabe im digitalen Zeitalter. Und eine neue Aufgabe, die die Landesstiftung „Miteinander-in-Hessen“ nach der Überwindung der Pandemie intensiv angehen will, betonte Hein als Mitglied des Stiftungsvorstands.

Die komplette Veranstaltung finden Sie hier:

DeutschÖffnet sich in einem neuen Fenster - Was unsere Gesellschaft zusammenhält –Erfahrungen in pandemischen Zeiten

EnglischÖffnet sich in einem neuen Fenster - What keeps our society together – Lessons learned from the pandemic