WERTE - "Religionsfreiheit"

Die „Religionsfreiheit“ stand im Mittelpunkt des 6. Teils einer Vortragsreihe über grundlegende Werte in der Hessischen Landesvertretung. Gastredner war Professor Arnd Uhle. Mehr als 150 Gäste folgten der Einladung von Staatsministerin Lucia Puttrich.

Die „Religionsfreiheit“ stand im Mittelpunkt des 6. Teils einer Vortragsreihe über grundlegende Werte in der Hessischen Landesvertretung. Gastredner war Professor Arnd Uhle. Mehr als 150 Gäste folgten der Einladung von Staatsministerin Lucia Puttrich.

Uhle gliederte sein Referat in zwei Dimensionen der Religionsfreiheit, umschrieb zwei Pfeiler, den grundrechtlichen sowie den institutionellen und benannte drei Entwicklungen, die Veränderungen anstießen. Schlussendlich zeigte Uhle den Vorteil nicht nur für Menschen, sondern auch für den Staat auf. Arnd Uhle lehrt nach Stationen in Bonn, München und Dresden seit 2017 öffentliches Recht, insbesondere Staatsrecht, allgemeine Staatslehre und Verfassungstheorie in Leipzig. An seinen Lehrstuhl ist die Forschungsstelle Recht und Religion angegliedert.

Wie aktuell das Thema „Religionsfreiheit“ ist, veranschaulichte der Referent an einigen Fällen der jüngsten Vergangenheit, die gesellschaftlich, politisch oder auch in gerichtlicher Auseinandersetzungen intensiv diskutiert wurden. Beispiele sind das Kreuz in der Schule oder in staatlichen Behörden, aber auch die religiös motivierte Knabenbeschneidung, das Kopftuch der muslimischen Lehrerin oder die Unterrichtsbefreiung aus religiösen Gründen.

Das Grundgesetz schützt die Religionsfreiheit in zwei Dimensionen

Als bedeutsam bezeichnete Uhle, dass das Grundgesetz die Religionsfreiheit in zwei Dimensionen schützt: in einer negativer und in einer positiven Dimension. In negativer Hinsicht umfasse das Grundrecht die Freiheit, keine Religion zu haben, sich zu keiner Religionsgemeinschaft zu bekennen und auch etwaige religiöse Überzeugungen nicht offenbaren zu müssen. In positiver Sichtweise umfasse es die Freiheit, eine religiöse Überzeugung zu haben, sich zu einer Religionsgemeinschaft zu bekennen, eine Religion ungehindert auszuüben und diese öffentlich zu praktizieren. Erfolgt ein staatlicher Eingriff in diese umrissene Freiheit, stelle sich die Frage, ob dieser verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden könne, so Uhle.

Das Bundesverfassungsgericht hält eine solche Eingriffsrechtfertigung nur zum Schutz der Grundrechte Dritter und sonstiger Güter von Verfassungsrang für möglich. Grundrechte Dritter sind beispielsweise die Religionsfreiheit anderer oder das religiöse Erziehungsrecht der Eltern. Also sonstiges Gut von Verfassungsrang kommt der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag im Bereich der Schule in Betracht. Im Einzelfall muss jeweils zwischen der Religionsfreiheit auf der einen Seite und diesen übrigen Verfassungsrechtsgütern auf der anderen Seite ein möglichst schonender Ausgleich hergestellt werden, der diejeweiligen Rechtsgüter in einem möglichst weiten Umfang zu optimaler Wirksamkeit kommen lässt.

Der grundrechtliche und der institutionelle Pfeiler des Staatskirchenrecht

Für Uhle steht das heutige Staatskirchenrecht auf zwei Pfeilern: auf dem der grundrechtlich geschützten Religionsfreiheit und auf den institutionellen Bestimmungen über das Beziehungsgefüge von Staat und Religionsgemeinschaften. Beide Pfeiler seien miteinander verwoben, so dass dieses Beziehungsgefüge unsere Gesellschaft vor immer neue Aufgaben stelle. Hierfür stünden Fragen, wie die nach dem islamischen Religionsunterricht oder auch nach dem Körperschaftsstatus für muslimische Gemeinschaften. Daraus wiederum ergeben sich weitere Fragestellungen, wie die Möglichkeiten zur Erhebung der Kirchensteuer oder den Erhalt von Staatsleistungen. Angesichts dessen könnten die Herausforderungen der Gegenwart nicht nur an der grundsätzlichen Gewährung von Religionsfreiheit festgemacht werden, vielmehr gehe es auch um die institutionellen Beziehungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften.

Gastgeberin des Abends war Staatsministerin Lucia Puttrich.
Gastgeberin des Abends war Staatsministerin Lucia Puttrich.

Drei Entwicklungsszenarien – Herausforderungen für die Religionsfreiheit

Einige gesellschaftliche Entwicklungstendenzen in jüngster Zeit, so Uhle, zeigten, dass einzelne Fragen auch mit Konflikten verbunden sein könnten. Drei Entwicklungen stellte er vor:

Die negative Religionsfreiheit tritt in den Vordergrund. Das belegt unter anderem der vor Jahrzehnten bundesverfassungsgerichtlich ausgetragene Streit um das Schulgebet in der öffentlichen Schule. Hierbei wurde die positive Religionsfreiheit der Schüler, die zu Unterrichtsbeginn ein Gebet sprechen wollten, mit der negativen Religionsfreiheit der betunwilligen Schüler abgewogen. Entscheidend für die Lösung derartiger Fälle sei die Freiwilligkeit der Teilnahme an dem Schulgebet. Ganz auf dieser Linie habe das Bundesverfassungsgericht vor ungefähr vier Jahrzehnten entschieden, dass der betunwillige Schüler in der öffentlichen Schule nicht das Schulgebet der gesamten Klasse verhindern dürfe, aber dass ihm die Möglichkeit freistehen müsse, diesem Schulgebet fernzubleiben.

Die zweite Entwicklung sieht der Staatsrechtler in der Rückwirkung einer fortgeschrittenen gesellschaftlichen Säkularisierung. Uhle glaubt, dass es heute für viele Zeitgenossen kaum noch vorstellbar ist, in welch existenzielle innere Not Menschen geraten können, wenn der Staat sie zwingt, entgegen ihren eigenen religiösen Überzeugungen zu leben und zu handeln. Als Fallbeispiel führte er die religiös motivierte, also nicht medizinisch indizierte Beschneidung eines muslimischen Jungen an. In diesem Fall könne man dem Gesetzgeber eine rasche und verfassungskonforme Antwort attestieren. Das Landgericht Köln hatte im Mai 2012 die Beschneidung als eine durch das elterliche Erziehungsrecht nicht gedeckte gefährliche Körperverletzung bewertet. Die öffentliche Debatte sei zu einem nicht geringen Teil von Unverständnis geprägt gewesen, dass Menschen aus einer religiösen Überzeugung heraus eine derartige Beschneidung durchführen lassen. Daher hätten seinerzeit nicht wenige eher religionsferne Kreise gefordert, die Beschneidung restriktiv zu regeln bzw. unter Umständen ganz zu verbieten. Gerichtliche Urteile und staatliches Handeln dürften von diesen Strömungen aber nicht geprägt werden, so Uhle.

Eine dritte Entwicklungstendenz der Gegenwart, die die Gewähr der Religionsfreiheit ebenfalls herausfordert, stelle die zunehmende religiöse Pluralisierung dar, namentlich, so Uhle, die Präsenz des Islam in Deutschland. Mit dem Hinweis darauf, dass der Staat verpflichtet sei, alle Religionen und Religionsangehörigen gleich zu behandeln, verwies der Rechtsprofessor auf zwei Beispiele: Im Jahr 1993 erließ das Bundesverfassungsgericht zwei Entscheidungen, die beide die Unterrichtsbefreiung aus religiösen Gründen zum Gegenstand hatten. In einem der Urteile erstritt eine muslimische Schülerin unter Berufung auf ihre Religionsfreiheit mit Erfolg ihre Befreiung vom koedukativen Sportunterricht. In dem anderen Fall blieb einer christlichen Schülerin, die unter Berufung auf Glaubensgründe eine Befreiung vom Schwimmunterricht zu erreichen versuchte, der Erfolg versagt. In der Konsequenz dieser Judikatur seien in den vergangenen Jahrzehnten vielfältige Befreiungen vom koedukativen Sport- und Schwimmunterricht erteilt worden. Infolgedessen sei allerdings die Verwirklichung des grundgesetzlichen Integrationsauftrags in den Schulen zunehmend infrage gestellt worden. Uhle begrüßte daher, dass das Bundesverwaltungsgericht im Jahre 2013 mit der sog. „Burkini-Rechtsprechung“ ein neues Kapitel aufgeschlagen habe. Das Ergebnis sei, dass es nur noch in seltenen Ausnahmefällen einen auf religiöse Gründe gestützten Anspruch auf Unterrichtsbefreiung anerkenne. Diese Neuausrichtung der Rechtsprechung schaffe nicht nur einen gleichheitsgerechten Maßstab für die Unterrichtsbefreiung aus religiösen Gründen, sondern akzentuiere auch die Relevanz der Schule für die innere Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt neu.

Nicht Minderheiten oder Mehrheiten entscheiden über Religionsfreiheit

Im abschließenden Gespräch mit Moderator Andreas Püttmann unterstrich Uhle, dass die Verwirklichung der Religionsfreiheit nicht davon abhängen dürfe, ob „die Minderheit oder Mehrheit applaudierten oder nicht“. Die Verfassung garantiere auch derartiger Religionsbetätigung einen Freiraum, die einem fremd sei. „Wenn die Freiheit die Toleranz voraussetzt“, so glaubt Uhle, „dann bedeutet Toleranz ja eigentlich nichts anderes als die Zumutungen der Freiheitsausübungen eines anderen hinzunehmen.“

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