Die Ankündigung vorgezogener Parlamentswahlen in Spanien war ein Paukenschlag für das das „politische Brüssel“. Hat das Land doch seit dem 01. Juli die EU-Ratspräsidentschaft inne. Ganz abgesehen von der Frage eines möglichen Rechtsrucks der künftigen Regierung stellte sich die Frage: Was bedeuten die Wahl und vor allem die anschließende Regierungsbildung für den laufenden Betrieb einer EU-Ratspräsidentschaft? Und so überrascht es nicht, dass mehr als 160 Gäste der Einladung der Hessischen Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten Lucia Puttrich gefolgt waren, um sich diese Frage aus erster Hand bei der letzten Veranstaltung der Landesvertretung vor der Sommerpause beantworten zu lassen: Politico-Korrespondent Aitor Hernández-Morales stellte ihnen die Ergebnisse der Parlamentswahl in Spanien vor und diskutierte diese im Anschluss mit Bengt Ljung, Direkt News Agency in Brüssel.
26. Juli 2023
Europa nach den Wahlen: Spanien hat gewählt
Der spanische Journalist erläuterte zunächst, dass die Wahl nach den für die Regierungskoalition unerwartet sehr schlechten Ergebnissen bei den spanischen Kommunalwahlen im Mai 2023 vorgezogenen worden war. Spanien hätte eigentlich erst im Dezember 2023 wieder gewählt. Dabei waren die Ausgangsbedingungen für die Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez für eine Wiederwahl durchaus erfolgversprechend, weil das Land wirtschaftlich gut dastehe. Pedro Sánchez dürfte die Wahl mit dem Gedanken vorgezogen haben, dass die Aussicht einer Zusammenarbeit der konservativen Partido Popular (PP) mit der rechtspopulistischen Vox die Wählerinnen und Wähler abschrecken wird, so die Einschätzung von Aitor Hernández-Morales, der den Wahltag in Madrid verfolgt hat.
Trotz des Zeitpunkts der Wahl am 23.07.2023, also im Hochsommer und in der Ferienzeit, lag die Wahlbeteiligung mit rund 70% etwa 4% höher als bei den Wahlen im Jahr 2019. Dabei blieb auch das befürchtete Briefwahlchaos aus, weil die spanische Post sehr gut organisiert gewesen sei. Die amtierende Regierungspartei PSOE hat ein Ergebnis von rund 31,7% erzielt. Die PP hat mit rund 33,05% abgeschnitten, auf die rechtsextreme Vox entfielen rund 12,39% der Stimmen. Die PP ist damit stärkste Partei geworden, aber auch die sozialistische Partei PSOE des Regierungschefs hat Stimmen gewonnen. Vox dagegen hat Stimmen verloren, wie insgesamt die Kleinparteien.
Was bedeutet das Ergebnis nun für die Regierungsbildung? Die Wahl der Regierung findet im Parlament in zwei Wahlgängen etwa Mitte September statt. Während im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit erforderlich ist, reicht für den 48 Stunden später stattfindenden zweiten Wahlgang eine einfache Mehrheit aus. Das könnte eine Chance für Noch-Regierungschef Pedro Sánchez sein. Aitor Hernández-Morales geht davon aus, dass Sánchez bereits sehr diskret mit den Kleinparteien verhandelt, die wie die PSOE kein Interesse an einer Wahlwiederholung haben, während sich die Medien stark auf die PP und Vox konzentrieren. So könnte zum ersten Mal in der spanischen Geschichte die Partei, die die meisten Stimmen erhalten hat (die PP), nicht die Regierung stellen. Dies sei zwar in Europa nicht neu, aber sehr wohl für Spanien, erläuterte Hernández-Morales. Auch Neuwahlen Ende des Jahres oder Anfang 2024, weil keine Regierung zustande kommt, schloss er nicht aus. Mit einer großen Koalition sei dagegen nicht zu rechnen. Dieses Konzept sei für die junge Demokratie Spanien neu, und die PP habe im Wahlkampf zu stark gegen Pedro Sánchez agiert. Diversität in Europa bedeute auch, dass ein System, welches in Deutschland funktioniert, in Spanien möglicherweise nicht, so der Journalist. Die für das Brüsseler Publikum spannende Frage, ob die schwierige Regierungsbildung sich auf die laufende EU-Ratspräsidentschaft von Spanien auswirkt, beunruhigt Hernández-Morales nicht. Bis zur Wahl eines neuen Ministerpräsidenten bleibe Sánchez geschäftsführend im Amt. Abgesehen von Ausnahmesituationen dürften zwar keine neuen Gesetze verabschiedet werden. Die Ständige Vertretung Spaniens bei der EU arbeite aber weiter wie gewohnt, und die EU-Ratspräsidentschaft sei lange vor den Wahlen geplant und gestaltet gewesen.