Je nach Schätzung sind zwischen 60 und 80 Prozent der deutschen Vorschriften europäisch beeinflusst. Vieles von dem, was aus der EU kommt, hat den Binnenmarkt gestärkt und damit die deutsche Wirtschaft unterstützt. Doch was einmal gut gemeint war, hat sich nicht immer gut entwickelt. Über die letzten Jahrzehnte ist aus vielen guten Ansätzen ein bürokratisches Geflecht und Wirrwarr geworden. Ein bürokratisches Dickicht, das viele Menschen und Unternehmen verzweifeln lässt. Mit dem für diese Woche angekündigten Wettbewerbskompass für die EU hat die EU-Kommission nun eine „beispiellose Anstrengung bei dem Abbau von Bürokratie“ angekündigt. Bereits Ende August 2024 hatte Hessens Europa- und Entbürokratisierungsminister Manfred Pentz in einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mehr Sensibilität und Tempo beim Thema Entbürokratisierung gefordert. Hauptforderung des Schreibens war, die Entbürokratisierung als übergeordnetes Ziel zu etablieren. Ein genauer Blick in die bislang bekannt gewordenen EU-Pläne zeigt aber:
Manfred Pentz: „Ein echter Sinneswandel hat in Brüssel noch nicht eingesetzt.“
Im Vorfeld des für Mittwoch angekündigten Wettbewerbskompasses der EU sagte Hessens Europa- und Entbürokratisierungsminister Manfred Pentz: „Das Ziel der EU-Kommission, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, ist sehr notwendig und im Papier sind auch einige vielversprechende Stichworte aufgenommen worden. Doch ein genauer Blick auf das bisher bekannt gewordene Dokument ist ernüchternd. Das Papier ist mit einer staatsdirigistischen Feder formuliert, wie es sie selten zuvor in der EU gegeben hat. Die EU-Kommission sieht sich als zentralen industriepolitischen Akteur und will in erster Linie nicht Deregulieren und Wettbewerb ermöglichen, sondern die Ausrichtung der europäischen Wirtschaft an ihren politischen Zielen erreichen. Das ist genau das Gegenteil dessen, was die Wirtschaft braucht. Unsere Unternehmen brauchen keine Unterstützung bei der Bewältigung der durch die EU selbst geschaffenen bürokratischen Hürden, sondern eine echte Befreiung davon.
Minister: „Transformations-Imperativ und globaler Wettbewerb beißen sich.“
„Es scheint, als ob die EU lediglich ein paar Hinweisschilder im Bürokratie-Dickicht aufstellen will, sonst aber alles irgendwie o.k. findet. Dabei wäre eine deutliche Entschlackung der bessere Weg. Mehr wirtschaftliche Freiheit kann man aber nicht dadurch erreichen, dass man gleichzeitig den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft einfordert. Schlüsselindustrien kann man nicht in der EU halten, wenn man gleichzeitig Lieferkettengesetze beschließt und Technologien wie den Verbrenner verbietet. Wer auf der einen Seite alle Maßnahmen einem Transformations-Imperativ unterwirft und gleichzeitig von Entbürokratisierung spricht, der entkoppelt sich vom globalen Wettbewerb und dessen Dynamiken. Die ersten Einblicke in den Wettbewerbskompass der EU-Kommission machen deshalb mehr den Eindruck eines postsozialistischen 5-Jahres-Plans als eines wirklichen Impulses für mehr Wettbewerb.“
Manfred Pentz: „Gute Ansätze – aber Wort Bürokratieabbau nur einmal im Text“
Weiter sagte der Minister: „Natürlich ist es gut, wenn es ein Kapitel zur Bürokratie gibt. Das zeigt, dass auch die EU nicht mehr um das Thema herum kommt. Doch wird zwar viel über Vereinfachung und Beschleunigung bestehender Regeln gesprochen; abgesehen von dem seit langem bekannten Ziel der Abschaffung von 25 Prozent der Berichtspflichten für Unternehmen, 35 Prozent bei KMUs, ist im ganzen Papier aber nur einmal von „Bürokratieabbau“ die Rede. Auf über 20 Seiten. Man bekommt unweigerlich den Eindruck, als ginge es vor allem darum, den Stil der Regulierung aufzuhübschen und Hilfestellung bei der Umsetzung zu geben. Alles in Allem ist das, was bislang vom Wettbewerbskompass bekannt ist, unter dem Aspekt des Bürokratieabbaus eine Enttäuschung.
Hessen hat bereits konkrete Vorschläge gemacht
Dabei gab und gibt es viele Vorschläge zum Bürokratieabbau in Europa. Bereits im August hatte Hessens Europa- und Entbürokratisierungsminister seine Forderungen in einem Brief an die frisch wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen formuliert. Darunter Vorschläge zum Abbau von Datenschutzbestimmen, eine Klarstellung beim Artenschutz, die Beschleunigung von Planungsverfahren, die Abschaffung der Lieferketten- und Entwaldungsrichtlinien und vieles mehr.
Der Minister mahnte: „Wer große Ankündigungen wie die EU-Kommission macht, sollte auch liefern wollen. Ich bin sehr skeptisch, ob man in der EU-Kommission wirklich verstanden hat, worum es beim Thema geht. Nicht nur, dass viele Regeln derart komplex sind, dass sie selbst erfahrene Verwaltungsmitarbeiterinnen und Verwaltungsmitarbeiter kaum noch verstehen. Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich geradezu ohnmächtig, wenn es um Beantragung von europäischen Förderungen geht, wenn Berichtspflichten greifen oder wenn man Datenschutzbeauftragte einstellen und Lieferkettenverzeichnisse führen muss. Doch wenn der Staat zu einem unverständlichen Konstrukt wird, haben es antidemokratische Populisten sehr leicht. Deshalb geht es beim Bürokratieabbau nicht nur um die Verbesserung des Verhältnisses von Staat und Bürger. Es geht darum, Demokratieverdrossenheit zu bekämpfen. Bürokratieabbau ist deshalb am Ende auch ein Demokratieförderprogramm.“