Gestern hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Kandidatinnen und Kandidaten für die neue EU-Kommission vorgestellt. Für Hessen bedeutet dies, sich auf neue Personen und Strukturen auf der europäischen Ebene einzustellen, denn was in Brüssel entschieden wird, betrifft uns unmittelbar. Das gilt für die zahlreichen europäischen Fördermittel- und Strukturfonds, aber auch für den Bereich der Rechtsetzung. So schätzt man, dass zwischen 70 und 80 Prozent der deutschen Normen einen europäischen Ursprung haben oder europäisch beeinflusst sind.
In einer ersten Einschätzung begrüßte Hessens Europaminister Manfred Pentz die Ausrichtung der neuen Kommission: „In Brüssel bewegt sich was in Richtung Zukunft und das ist gut so. Jetzt kommt es darauf an, dass ein langwieriges Gezänk mit dem Europäischen Parlament vermieden und Europa schnell wieder handlungsfähig wird. Die EU steht vor enormen Herausforderungen. Es geht darum, unsere Sicherheit mit Blick auf den Krieg in der Ukraine zu sichern, es geht um die europäische Migrationspolitik und es geht vor allem darum, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu verbessern. Der Maßstab der Bewertung sollte deshalb weniger auf Parteienpräferenzen liegen, sondern darauf, ob die neue EU-Kommission diese Herausforderungen lösen kann. Hier bin ich zuversichtlich, dass dies dann gelingen kann, wenn alle Akteure, auch die in den Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament, an einem Strang ziehen.“
Pentz: „Wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit ist Schicksalsfrage der EU.“
Der Minister betonte die Bedeutung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit für die gesamte Zukunft der EU: „Der europäische Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt ist in den letzten Jahrzehnten massiv gesunken. Lag dieser vor knapp 20 Jahren noch bei 18,6 Prozent, liegt er heute nur noch bei etwa 14,4 Prozent. Das mag sich erst einmal nicht so dramatisch anhören, doch, wenn man sieht, dass der Anteil Chinas im selben Zeitraum um knapp elf Prozent gestiegen ist, dann wird schnell klar, dass Europa gerade den Anschluss an die globale wirtschaftliche Entwicklung verliert. Das ist nicht nur dramatisch für die soziale Sicherheit in Europa, sondern auch für unseren Einfluss in der Welt. Wir werden unsere ambitionierten Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte in der Welt nicht durchsetzen können, wenn uns dafür die wirtschaftliche Kraft fehlt. Für mich ist es deshalb von entscheidender Bedeutung, was Europa in den nächsten Jahren im Bereich Wettbewerbsfähigkeit unternimmt. Dazu gehört auch der Abbau von Bürokratie.“
Europaminister: „Valdis Dombrovskis ist der richtige Mann für den Job.“
Mit Blick auf die ‚Missions Letters‘, den konkreten Aufgabenbeschreibungen der designierten EU-Kommissare, sagte der Minister: „Soweit man das heute sagen kann, wird die neue EU-Kommission auch einen Schwerpunkt im Bereich der Entbürokratisierung legen. Quasi jeder neuen Kommissarin und jedem neuen Kommissar wurde das Thema ‚bessere Rechtsetzung‘ ins Stammbuch geschrieben. Die EU soll verständlicher und schneller in ihren Reaktionen werden. Das ist nicht nur gut so, sondern auch dringend nötig. Der neue Kommissar für Wirtschaftsfragen Valdis Dombrovskis wird dafür zuständig sein. Wir kennen ihn als einen hervorragenden und bewährten EU-Kommissar, der sein Geschäft versteht und zu dem Hessen sehr gute Verbindungen unterhält. Er hat zum Beispiel den Auftrag, die Berichtspflichten für Unternehmen um bis zu 35 Prozent zu reduzieren und streng darauf zu achten, dass neue Regulierungen verständlich und umsetzbarer sind. Dabei werden wir ihn tatkräftig unterstützen.“
Pentz: „EU ist Hauptproduzent von Bürokratie und deshalb auch in der Hauptverantwortung, dieses Problem zu lösen.“
„Doch“, so der Entbürokratisierungsminister weiter, „ich bin auch etwas enttäuscht. Ich hatte mir ein noch klareres Signal in Richtung Entbürokratisierung gewünscht. Ja, die europäischen Vorgaben können verständlicher formuliert werden und vielleicht schafft man es auch, dass man schneller auf Herausforderungen reagiert. Aber das ist nur ein rumdoktern an den Symptomen. Die EU ist der Hauptproduzent von Bürokratie und deshalb auch in der Verantwortung, dieses Problem zu lösen. Dazu reicht es nicht, nur alles etwas verständlicher zu formulieren. Man muss auch das Ziel haben, weniger Regelungen zu produzieren und auch ernsthaft daran arbeiten, Regulierungen, die vielleicht irgendwann mal ihren Sinn hatten, wieder abzubauen. Mit ein wenig Digitalisierung hier und ein wenig sprachlicher Überarbeitung da lässt sich keine ernsthafte Entbürokratisierung betreiben. Da muss insgesamt ein Umdenken in der europäischen Philosophie her. Das heißt eine stärkere Fokussierung auf die Kernbereiche, etwa den Abbau von Hürden im Binnenmarkt und weniger Ambitionen, bestimmte politische Ziele in europäische Programme zu gießen.“