Die Partnerregionen Wielkopolska und Hessen hatten gemeinsam zu der Veranstaltung in der Reihe „Europa nach den Wahlen“ eingeladen. Anna Słojewska, EU-Korrespondentin der polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita, stellte den rund 250 Gästen das Wahlergebnis vor und analysierte es im Anschluss im Gespräch mit Dr. Thomas Gutschker, Frankfurter Allgemeine Zeitung.
16. Oktober 2023
Veranstaltung Europa nach den Wahlen: Polen hat gewählt
Auch wenn die amtlichen Wahlergebnisse zum Zeitpunkt der Veranstaltung noch nicht vorlagen, zeigten die Prognosen, dass Polen ein Regierungswechsel bevorstehen dürfte. Joanna Kubiak, geschäftsführende Leiterin der Vertretung der Wielkopolska, machte in ihrer Einführung deutlich, wie wichtig diese Wahl für Polen und die EU ist. Das Ergebnis werde die Regionalwahlen im April 2024 sowie die Europawahlen im Juni 2024 in Polen beeinflussen. Sowohl Joanna Kubiak als auch Anna Słojewska wiesen auf die Rekord-Wahlbeteiligung von über 70% hin; in der hessischen Partnerregion wurde sogar die zweithöchste des Landes verzeichnet: 86%. Grund für die hohe Wahlbeteiligung sei die starke Mobilisierung der Anhänger der Opposition, und insbesondere der Frauen, gewesen.
Anna Słojewska fällte ein klares Urteil: Die Wahlen waren frei, aber nicht fair. Die öffentlich-rechtlichen Medien seien eine „Propaganda-Maschine“ der Regierung gewesen, die „liberalen“, großen Wahlbezirke haben (nach einer Wahlrechtsreform) verhältnismäßig weniger Sitze zugewiesen bekommen als kleine, der PiS nahestehende Wahlbezirke, und die Verbindung der Wahlen mit einem Referendum u.a. zur Migrationspolitik habe ebenfalls der PiS in die Hände spielen sollen. Das Kalkül sei aber nicht aufgegangen: Nur 40% der Wählerinnen und Wähler haben sich an dem Referendum beteiligt, so dass dieses gescheitert ist.
Wegen der hohen Wahlbeteiligung dauere die Auszählung sehr lang. Die aktuellen Prognosen, beruhend auf Befragungen nach der Wahl, seien aber recht zuverlässig. Danach ist die PiS von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki mit 36,6% der Stimmen stärkste Kraft. Auf dem zweiten Platz mit 31% liegt die oppositionelle liberalkonservative Bürgerkoalition (KO) des ehemaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk. Die KO könnte zusammen mit dem christlich-konservativen Dritten Weg (rund 14%) und dem Linksbündnis Lewica (rund 8%) eine Koalition bilden. Sie eint der Wille, die Zerstörung des demokratischen Staates beenden, die Rechtstaatlichkeit wiederherstellen, Frauenrechte verbessern und die Wirtschaft wieder stärken zu wollen. Auch sind alle pro-europäisch. Damit lägen genügen Gemeinsamkeiten vor, so die Zuversicht von Anna Słojewska.
Die Wiederherstellung der Rechtstaatlichkeit, da waren sich die polnische Journalistin und Thomas Gutschker einig, wird aber eine Weile brauchen. Im Zentrum stehen hier die umstrittenen Justizreformen der PiS-Regierung.
Am Dienstag, 17.10.2023, lag dann das amtliche Endergebnis vor – die Einschätzung von Anna Słojewska bestätigte sich. Nach Auszählung aller Wahlkreise kam die PiS auf 35,38%, die liberale Bürgerkoalition (KO) auf 30,7%. Drittstärkste Partei ist das Wahlbündnis Dritter Weg mit 14,4%, gefolgt von dem Linksbündnis Lewica mit 8,61%. Die extrem rechte „Konföderation“ kam auf 7,16%. Die Wahlbeteiligung lag mit 74,38% deutlich über allen bisherigen Wahlen seit 1989.